Der dritte Teil gilt häufig als schwer zu entwickeln, weil man nicht nochmal das selbe mit mehr Politur bringen kann. Es muss zumindest soviel neues her, dass die Spieler der Fortschritt erkennen, aber nicht so viel, dass es sich von den Vorgängern zu weit entfernt. Vor dieser Herausforderung standen auch die Entwickler bei Blizzard, in der Rückschau können wir getrost festhalten, dass ihnen der Spagat geglückt ist. Heute gilt das hier besprochene Spiel als eines der besten Echtzeitstrategiespiele aller Zeiten, aber auch als der Anfang vom Untergang des Genres. Am 5. Juli 2002 erschien WarCraft 3 – Reign of Chaos.
Im Kern ist WarCraft 3 ein klassisches Echtzeitstrategiespiel: Ressourcen abbauen, Gebäude errichten, Armee ausheben, Technologien erforschen, Gegner platt machen. So weit, so Standard. Im Gegensatz zu anderen Genre-Vertretern bleiben die Armeen aber klein, die meisten Einheiten verbrauchten mehr als einen Punkt des mit 90 Punkten recht knapp bemessenen Einheitenlimits. Dazu muss ab 40 und 70 ein Teil des Goldeinkommens, der wichtigsten Ressource im Spiel, abgegeben werden. Je nach Spielsituation kann es also sinnvoll sein, seine Armee unter diesen Limits zu halten. Da die Wirtschaft einfach gehalten wurde und viele Einheiten über Spezialfähigkeiten verfügten, verschob sich der Fokus weg vom Macro- zu mehr Micro-Management.
Die zweite, große Neuerung sind die Rollenspielelemente. Egal ob in der Kampagne, Skirmish oder Multiplayer, Helden sind ein fester Bestandteil der Armee. Für erledigte Gegner erhalten sie Erfahrungspunkte und können 10 Level aufsteigen. An vielen Stellen der Karte warten die Creeps, neutrale Computer-Gegner, die gerne wichtige Ort wie weitere Goldminen bewachen. Mit jedem Levelaufstieg kann ein Helden eine neue Fähigkeit erlernen, jeder verfügt über drei mit je drei Stufen und eine ultimative Fähigkeit, die ab Level 6 verfügbar ist. Ultimates wie die Dämonenform des Dämonenjägers können einen Kampf drehen, das Erdbeben des Ork-Scharfseher zerstört ganze Basen im Alleingang. Der Massenteleport des Erzmagiers macht die ansonsten eher lahme Menschenarmee deutlich mobiler, während die Totenbelebung des Todesritters gefallene Einheiten als Untote kurzzeitig wieder auferstehen lässt.
Der Fokus auf wenige Einheiten mit Spezialfähigkeiten sorgte für schnelle Action und spektakuläre Gefechte. Wie schon der Vorgänger StarCraft wurde WarCraft 3 schnell zur Multiplayer-Referenz, Veranstalter der boomenden eSport-Szene kamen nicht drum herum. Erstmals gab es auch außerhalb Süd-Koreas eine substanzielle Menge Vollzeitgamer, die sich ganz auf ihr Spiel konzentrieren konnten. Bis zum Release von StarCraft 2 sollte WarCraft 3 der größten Titel in seinem Genre bleiben. Das dürfte auch ein wenig dem geschuldet sein, dass Echtzeitstrategiespiele bereits an Boden verloren und allgemein weniger Titel erschienen. WarCraft 3 ist bis heute ein beliebter Vertreter des Genres, insbesondere in China wird er viel gespielt.
Wo die Vorgänger noch recht spartanisch mit der Geschichte und der Welt Azeroth umgingen, baute WarCraft 3 diese gehörig aus. Mit den Nachtelfen und Untoten gesellten sich zwei neue, spielbare Fraktionen dazu. Die bestehenden wurden deutlich weiterentwickelt, die Orks weg von einer blutrünstigen Horden hin zu einem Volk spiritueller Schamamen, die hintergangen und benutzt wurden. Die Brennende Legion hatte erstmals einen Auftritt und sollte der Oberbösewicht für viele Jahre werden. Legendär ist der Auftritt Archimondes in einer gerenderten Zwischensequenzen des Spiels, wie er die Magier-Stadt Dalaran zerstört. Für das Franchise prägenden Charaktere wie Arthas Menethil, Sylvanas Windrunner und Jaina Proudmoore wurden in die Welt eingeführt – alle mit englischen Namen, die Eindeutschung erfolgte erst später. Allgemein gilt die Geschichte von Reign of Chaos, die vom Tutorial über vier Kampagnen aus der Sicht aller Völker erzählt wird, als eine der besten den Genres. Es ist mittlerweile für Blizzard aber auch Normalität, dass nicht alles, was im Spiel stattfindet, heute noch gültig ist. Retcon könnte der zweite Vorname des Studios aus Irvine, Kalifornien sein. Der Einfluss von legendären Missionen wie der Säuberung von Stratholme, Arthas‘ Reise nach Northrend, die Eroberung der Hochelfenstadt Silvermoon und die Verteidigung des Weltenbaums als großes Finale wird dadurch nicht geschmälert.
Ein weiterer, wichtiger Aspekt von WarCraft 3 ist der mächtige Editor: Egal ob neue Skirmish-Karten, durchgeskriptete Kampagnenmissionen oder etwas ganz Neues – der Kreativität waren kaum Grenzen gesetzt. Der Editor war in den Grundzügen einfach zu erlernen, hatte Werkzeuge zur Erstellung und Modifikation von Karten, Einheiten und Ereignissen im Spiel von Haus aus dabei. Mit dem Addon kam die Möglichkeit dazu, mehrere Karten zu einer Kampagne zusammenzufassen. Das Trigger-System für Ereignisse ist einfach zu erlernen, für fortgeschrittene Modder gibt es mit JASS eine eigene Skriptsprache. Der Editor ist so mächtig, dass komplett neue Spielmodi damit möglich sind. Genre wie Tower Defense oder Multiplayer Online Battle Arenas, kurz MOBAs, wurden hier erfunden oder fanden ihren Durchbruch. Gerade den MOBAs wird gerne angelastet, dass WarCraft 3 gleichzeitig der Sargnagel für klassische Echtzeitstrategiespiele war. Sie sollten nie wieder so populär werden, einsteigerfreundlichere Genre-Abwandlungen liefen ihnen Zusehens den Rang ab. Der Editor als Tool mit niedriger Einstiegshürde zum Rumspielen, aber auch umfangreiches Werkzeug, um ganz andere Ideen umzusetzen, dürfte daran seinen Anteil haben. Er sorgte aber auch für den Start einiger Karrieren in der Spielebranche.
Ein Jahr nach dem Release des Hauptspiels erschein mit The Frozen Throne das einzige Addon. In der europäischen Hitzewelle von 2003 schien es aus Marketingsicht wie eine Katastrophe mit Ansage, tat es dem Erfolg des Titels aber keinen Abbruch. Viele Magazine werteten das Addon gegenüber dem bereits herausragenden Hauptspiel nochmal ein wenig auf. Für jedes der vier Völker gab es je einen neuen Helden, neue Einheiten sowie einen eigenen Shop als neues Gebäude. An der neuen Taverne können alternativ neutrale Helden wie der Pandaren Braumeister angeheuert werden. Die Geschichte spielt nach dem Hauptspiel, bringt mit Outland (heute als Scherbenwelt bekannt) eine neue Umgebung mit. Nicht nur führt sie die Reise von Arthas fort, es wird auch der Ausgangspunkt für World of WarCraft gelegt. Charaktere wie Illidan Stormrage und Sylvanas Windrunner, die im MMO-Giganten tragende Rollen über viele Jahren spielen sollten, werden näher beleuchtet. Für die Orks war ursprünglich gar keine Kampagne vorgesehen, nach Fan-Protesten baute Blizzard eine Action-RPG-artige Kampagne ein, die in drei Episode erzählt wird.
Auch wenn es weh tut, muss in diesem Kontext auch das Remaster WarCraft 3 – Reforged von 2020 erwähnt werden. Nach einer gefeierten Ankündigung verkam der Release zum Desaster: Die versprochene, weitreichende Überarbeitung der Kampagne fehlte, es gab viele Bugs, die neue Grafik sah nur auf den ersten Blick gut aus aber offenbarte auf den zweiten einen deutlichen Mangel an Feinschliff und für den Multiplayer fehlten elementare Features. Letzteres war besonders tragisch, weil die alten Server mit dem Release abgeschaltet wurden. Die noch sehr aktive Community schaffte hier Abhilfe, wer nicht komplett Casual unterwegs ist, spielt auf W3Champions. Mittlerweile wurde das Remaster einigermaßen hingebogen, es läuft weitestgehend fehlerfrei und auch Features für den Multiplayer tröpfeln sehr langsam ein. Trotzdem konnte das Spiel den Ruf eines Desasters bis heute nicht abschütteln. Die offizielle Abhilfe dauerte einige Jahre und bis heute ist nicht klar, ob es jemals den Stand des Originals erreichen wird.
So schlecht Reforged als Remaster auch ist, im Kern ist WarCraft 3 immer noch ein fantastisches Spiel und bis heute eines der besten Echtzeitstrategiespiele – daran hat auch das verkorkste Remaster nichts geändert. Dafür ist es der einfachste Weg, das Spiele heute noch zu spielen. Wer die neuen Modelle nicht mag, schaltet in den Klassik-Modus mit Original-Grafik. Für das Originalspiel müsst ihr eure CDs auspacken. Diese kann per Update auf die Version 1.27 kommen, welche aber keine vernünftige Unterstützung von Widescreen-Auflösungen (nicht Ultrawide, sondern alles über 4:3). Dafür bräuchte es spätere Versionen, von denen es aber keinen separaten Installer gibt, man konnte sie nur via Battle.net-Verbindung runterladen. Versucht man es heute, bekommt man Reforged untergeschoben. Ansonsten ist Reforged mittlerweile auch keine schlechte Option, im Multiplayer sogar muss. Nur ist sie aus meiner Sicht für das gebotene zu teuer, im Angebot mit deutlichem Rabatt könnt ihr aber zuschlagen. Wer seine CD-Key für Reign of Chaos noch hat, kann ihn alternativ auch mit seinem Battle.net-Account verbinden und bekommt dann Reforged – allerdings beschränkt auf den Klassik-Modus mit der alten Grafik und Kampagne. Aber das kann auch was Gutes sein. Egal für welchen Weg ihr euch entscheidet, es gibt weiter die Möglichkeit, eines der besten Echtzeitstrategiespiele aller Zeiten genießen.