Review: Ghostwire Tokyo

Screenshot: Kampf an einem Torii in Ghostwire Tokyo

Ich bin wirklich alles andere als ein Horror-Fan, als sehr schreckhafte und eher ängstliche Person ist es einfach nicht mein Genre. Deshalb waren die Spiele von Tango Gameworks, gegründet von Resident-Evil-Erfinder Shinji Mikami, auch überhaupt nicht auf meinem Radar. Als sie aber Ghostwire Tokyo angekündigt haben, was die Prioritäten mehr auf Action als Horror zu legen scheint, war ich interessiert. Aber wie es so oft kommt, hatte ich keine Zeit dafür. Die Reviews von professionellen Testern waren dazu eher verhalten. Nun habe ich die Zeit gefunden, mich ins nächtliche Shibuya zu begeben und mir selbst ein Bild zu machen.

Die Geschichte des Studios nahm leider eine traurige Wendung. Trotz des Überraschungshits Hifi Rush wollte Microsoft es schließen, viele Mitarbeiter waren bereits gegangen. Im Gegensatz zu den anderen Studios aus dieser Schließungswelle, fand sich mit dem koreanischen Publisher Krafton (PUBG) ein Retter, der übernahm, was von dem Studio noch übrig ist sowie die Marke Hifi Rush. Wie es in Zukunft damit weiter geht, wird man sehen müssen.

Inhalt

Wunderschöne Leere: Die Technik

Screenshot: Durch den nassen Boden kommen die Reflektionen, vor allem per Raytracing berechnet, sehr gut zur Geltung
Durch den nassen Boden kommen die Reflektionen, vor allem per Raytracing berechnet, sehr gut zur Geltung

Ghostwire Tokyo nutzt als technischen Unterbau die Unreal Engine 4 und sieht wirklich gut aus. Es unterstützt Raytracing für Reflexionen und Schatten, damit die Performance stabil bleibt werden Upscaling-Techniken wie FSR und DLSS unterstützt. Meine RTX 2070 Super kommt gerade mit aktiver Strahlenverfolgung arg ins Schwitzen, ohne DLSS-Hilfe komme ich nicht auf 60FPS, ansonsten sind es deutlich über 100. In jedem Fall drehen die Lüfter deutlich hörbar auf. Wenn möglich würde ich empfehlen mit Raytracing zu spielen, durch den omnipräsenten Nebel und oft auftretenden Regen gibt es viele Pfützen und feuchten Asphalt, in denen sich die vielen Lichter des eigentlich sehr belebten Viertels spiegeln. Zum Teil auch in den Schaufenstern, wobei die beim genaueren Hinsehen nur Fassade sind, dazu später mehr. Die einfacheren Reflexionen sind zwar deutlich schneller berechnet, haben aber auch ihre Nachteile, vor allem, weil sie oft nur auf den Screen Space limitiert sind, was zumindest mir als Grafik-Nerd auffällt.
Seit kurzem Verfüge ich über einen HDR-fähigen Monitor mit HDR1000 Zertifizierung. Ist HDR in Windows aktiviert, läuft auch Ghostwire Tokyo in diesem Modus. Der Unterschied variiert je nach Szene, am meisten ist es mir beim Abgeben der Seelen in den Telefonzellen aufgefallen. Die Lichtblitze stechen deutlich mehr heraus wie in der SDR-Version. Das ist auch eine Sequenz, in der ich Zeit habe, auf solche Details zu achten, in den Kämpfen konzentriere ich mich mehr darauf, wo die Gegner sind. Auf Screenshots ist das leider nicht abbildbar, Steam macht gar keine mehr und PicPick, was ich ansonsten verwende, macht zwar welche, aber nur im SDR-Format, wodurch sie von Farbbändern durchzogen sind, weil sie nicht die ganze Bandbreite an Farben abbilden können.

Generell ist die Welt sehr glaubwürdig aufgebaut, einige der besonders prominenten Ecken habe ich aus Tokyo Mirage Sessions #FE und vor allem Persona 5 wiedererkannt. Ich habe erst nach ein paar Sekunden gemerkt, dass ich auf dem Vorplatz des Bahnhofs von Shibuya stehe und dass die Eingänge und Verkaufsstände an der mir vertrauten Stellen sind – nur dass ich dann noch weiterlaufen kann und nicht auf ein sehr kleines Areal limitiert bin. Komplett realistisch dürfte der Maßstab nicht sein, ich kann innerhalb von Minuten von einem Ende der komplett aufgedeckten Karte zum anderen Laufen und Längenangaben werden nur in hunderten von Metern angegeben. Dadurch werden die interessanten Orte verdichtet, von den Wolkenkratzern der großen Kaufhäuser bis zu den kleinen, fast chaotisch gebauten Häusern in den Nebenstraßen und den Spielplätzen und immer wieder auftretenden, kleinen Schreinen und Orten dazwischen. Betreten kann ich allerdings die wenigsten der Gebäude. Aber die Welt sieht wie eine aus, in der Menschen leben könnten.

Screenshot: Im kleinen See im Park können die Reflektionen ihre Muskeln spielen lassen
Im kleinen See im Park können die Reflektionen ihre Muskeln spielen lassen

Allerdings treffe ich so gut wie keine Menschen im Spiel, durch ein Story-Ereignis direkt zu Anfang ist das Stadtviertel komplett ausgestorben. Einzig die Monster, nur "Besucher" genannt und einige Tiere wie Hunde und Katzen sind noch da. Die Gegner sind meist Humanoid, wobei immer mit einem Twist, wie dass sie kein Gesicht haben oder gar keinen Kopf. Dazu "laufen" einige sehr eigen, mit komplett steifem Körper, was zu ihrer gespenstischen Gestalt passt. Andere sind sehr glaubwürdig animiert, wobei die Kämpfe dann doch etwas zu hektisch sind, um das vollends beurteilen zu können.

Die Soundeffekte sind gut, ohne sonderlich aufzufallen. Die wenigen Sprecher machen auch einen guten Job. Ein wenig enttäuscht bin ich von der Musik: Ich habe bereits vorher den Soundtrack durchgehört und fand ihn sehr gut, vom Stil her erinnert er mich an den Anime-Klassiker Ghost in the Shell und sollte die gespenstische Stimmung im menschleeren Shibuya unterstreichen. Aber im Spiel höre ich davon nichts, es ist meist Still. Das trägt zwar auch zur Stimmung bei, aber so sehe ich es als eine vertane Chance.

Open-World in Tokyo: Das Gameplay

Im Kern ist Ghostwire Tokyo ein Ego-Shooter mit Magie statt Waffen, der in einer offenen Welt spielt, die dem realen Stadtviertel Shibuya von Tokyo nachempfunden ist. In den Straßen treiben sich allerlei Monster in Form der geisterhaften "Besucher" herum, welche primär Hindernisse auf dem Weg zum nächsten Missionsziel sind. Aber der Reihe nach.

Lahmes Geballer: das Kampfsystem

Screenshot: In den Kämpfen sprühen die Partikel-Effekte. Hilft dem schwachen Wasserangriff aber wenig.
In den Kämpfen sprühen die Partikel-Effekte. Hilft dem schwachen Wasserangriff aber wenig.

Ego Shooter leben stark von sog. Gunplay, dem schwer zu beschreibenden Gefühl, wie sich die Waffen anfühlen. Da spielen einige Dinge rein, wie die Animationen der Schießprügel, Sounds und wie getroffenen Gegner durch Animation darauf reagieren. Ich persönlich mag zudem Ego Shooter der alten Schule, mit rasantem Movement und vielen, abwechslungsreichen und gerne auch mal ausgefallenen Waffen. Davon hat Ghostwire Tokyo leider eher wenig.

Es gibt genau vier "Waffen" im Spiel, was schonmal nicht sonderlich viel ist. Drei davon sind magische Angriffe, was auch keine gute Voraussetzung ist, in der Vergangenheit litten Magie-Shooter gerne unter schlechtem Gunplay. Die drei Angriffe sind nach drei Elementen einsortiert, verhalten sich aber wie bekannte Waffen: Wind feuert schnelle, aber nicht sonderlich durchschlagskräftige Schüsse ab, fast wie ein halbautomatisches Maschinengewehr. Wasser erzeugt eine Art horizontale Welle, welche wohl an eine Schrotflinte erinnern soll. Aber zum einen ist es nur horizontal, sprich Gegner oben und unten treffe ich so nicht, dazu scheint sie mir sehr schwach zu sein, wenn die Gegner nicht gerade direkt vor mir stehen – aber sie in ihre Nahkampfreichweite kommen zu lassen, erscheint mir keine gute Idee. Zuletzt gibt es noch das Feuerelement, was einen sehr starken, geraden Schuss erzeugt, der aber auch relativ langsam liegt. Gegen agile Gegner, z.b. einen besonders nervigen der fliegt und an einen Regenschirm erinnert, ist dieser Angriff trotz seiner Stärke fast unbrauchbar. Treffer landete ich damit mehr durch Glück als Können.

Für alle Angriffe kann ich Upgrades freischalten. Neben langweiligen wie einfach mehr Schaden verfügt jede über einen aufgeladenen Schuss, Wind verschießt dann einige zielsuchende Kugeln (nützlich gegen sehr agile Gegner, leider immer noch recht wenig Schaden), Feuer erzeugt eine große Kugel, die beim Aufprall explodiert wie eine Granate (Gut gegen größere Gruppen, wobei ich selten auf mehr als fünf oder sechs Gegner gleichzeitig treffe). Ich kann mich nicht daran erinnern, was Wasser macht, weil ich den Angriff allgemein schwach bis an die Grenze zur Nutzlosigkeit empfand und entsprechend wenig genutzt habe. Dazu kommen Spezialangriffe, z.b. kann ich, wenn ich einen aufgeladenen Wind-Angriff statt durch loslassen der Maustaste per Druck auf die Nahkampftaste abfeuere, sehr schnell noch kleinere Schüsse abfeuern, bis meine "Munition" leer ist. Das ist gerade gegen Gegnergruppen nützlich.

Screenshot: Spectral Vision lässt mich durch Wände sehen und markiert wichtige Objekte wie andere Geister und Gegner
Spectral Vision lässt mich durch Wände sehen und markiert wichtige Objekte wie andere Geister und Gegner

Im Verlauf gesellt sich noch ein Bogen zum Waffenarsenal, der sehr gut austeilt, aber auch gewichtige Nachteile hat: Das Spannen dauert kurz, in dieser Zeit bin ich Verwundbar. Also lieber aus der Deckung heraus oder die Gegner ins Visier nehmen, die mich noch nicht entdeckt habe. Dazu macht er den meisten Schaden bei Kopftreffern, deren Trefferzonen nicht gerade großzügig sind und deshalb genaues zielen erfordern, zumal die Pfeile etwas realitätsnah nicht komplett geradeaus, sondern über Strecke leicht abfallen. Am meisten limitiert mich aber die sehr knappe Munitionskapazität: am Ende konnte ich 15 Pfeile tragen, am Anfang waren es unter 10. Das ist nicht gerade viel, zumal in den Level kaum Köcher mit weiteren herumstehen, bessere Chance habe ich bei den Händlern, Geld hatte ich immer im Überfluss. Ich habe den Bogen meist als Waffe über lange Distanz oder wenn ich ungesehen bleiben musste eingesetzt. Außer ich konnte nicht anders, an einigen Storystellen verliere ich die magischen Fähigkeiten und bin komplett auf den Bogen angewiesen. Auch ein Gegnertyp kann diesen Zustand bei mir auslösen. Ist er besiegt ist alles wieder wie vorher. Das sind die aus meiner Sicht die schwächsten Stellen das Spiels, weil Akito alle interessanten Fähigkeiten verliert. Und ich auf Schleichen angewiesen bin, was ich gar nicht mag.

Zuletzt gibt es noch einen Nahkampfangriff, den ich aber zu schwach fand und ich es allgemein nicht mag, wenn mir Gegner so nahekommen. Blocken ist damit auch möglich, mit dem ich aber in allen Spielen Probleme habe, weil ich die Schlaganimationen nicht richtig einschätzen kann. Mehr genutzt habe ich die Ausweichfunktion, aber so richtig warm bin ich damit nie geworden. Es gibt drei mögliche Arten, den Dash auszulösen, welche ich nutzen will kann ich im Menü einstellen. Am besten passte mir Shift + Bewegungstaste, aber nicht nach vorne. Und nicht nur dass, drücke ich nach vorne, geht der Dash gar nicht mehr, auch wenn ich zeitgleich eine Taste zur Seite drücke, was ich oft mache. Generell bewegt sich Akito recht langsam, wodurch sich die Kämpfe etwas träge anfühlen. Das mag beabsichtig sein und meiner Vorliebe für rasantes Movement nicht entsprechen.

Screenshot: Geschwächten Gegnern kann ich ihren offengelegten Kern entreißen, was mehr Erfahrungspunkte und magische Munition bringt
Geschwächten Gegnern kann ich ihren offengelegten Kern entreißen, was mehr Erfahrungspunkte und magische Munition bringt

Die Kämpfe gegen die Gegner gestalten sich sehr eintönig. Es gibt zwar viele Varianten, die sich aber in ihren Charakteristika nur wenig unterscheiden. Die meisten sind Nahkämpfer, halte ich sie auf Distanz ist es kein Problem. Einige bewegen sich recht schnell, anderen halten viel aus, aber wirklich interessantes ist nicht dabei. Mit einem kostenlosen Update kam ein neuer Gegnertyp dazu, der die meiste Zeit unsichtbar ist, und damit meine ich, dass man nur einen leichten Schemen sieht, selbst mit der Spectral Vision. Einige Gegner tragen einen Regenschirm, mit dem sie Schüsse blocken, der aber nach genug Schaden oder durch einen Treffer mit dem Bogen zu Bruch geht.

Die Bossgegner haben mich enttäuscht, weil keiner wirklich interessant ist. Ihren Angriffen ausweichen, per Spectral Vision die Schwachpunkte finden und draufhalten – das reicht bei allen. Die Angriffsmuster sind meist auch nicht spannend und schnell durchschaut. Es gibt eine Ausnahme, aber nicht zum Guten: In einem Kampf ist der Boss so übermächtig, dass ich ihn auf normalem Weg nicht besiegen kann. Stattdessen muss ich mich in einem engen Schacht in der Mitte des Levels verstecken, der Boss schleicht außen herum. Wenn er an mir vorbeiläuft, muss ich ihn am Schwanz packen, damit er Schaden bekommt. Das ganze dreimal und das wars. Mir ist selten ein so langweiliger und eintöniger Bosskampf untergekommen. Nur in der Ecke hocken und warten ist wirklich nicht interessant.

Generell fand ich Ghostwire Tokyo zu einfach. Ich habe auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad gespielt, der mir in modernen Spielen meist etwas zu einfach ist. Aber hier ist es mir zu viel, allein schon, weil ich viele Möglichkeiten zur Selbstheilung, Buffen und aufleveln bekomme. Besonders die Bossgegner sind zu einfach: nur in einem bin ich gestorben und das auch nur, weil ich in einer Ecke hängen blieb, als ich neue Munition nachfassen wollte. Und das, obwohl ich den Kampf über sehr aggressiv und risikoreich gespielt habe. Im zweiten Versuch bin ich das etwas anders angegangen und er war kein Problem mehr. Auf einem höheren Schwierigkeitsgrad mag das anders aussehen, ich hatte aber keine Motivation mehr, das noch auszuprobieren.

RPG-Super-Light: das Upgrade-System

Screenshot: Der immer wieder auftretende Regen verstärkt die bedrückende Atmosphäre des Spiels
Der immer wieder auftretende Regen verstärkt die bedrückende Atmosphäre des Spiels

Als Akito unfreiwillig die Seele von KK aufnimmt, bekommt er neben den Kampffähigkeiten auch einige weitere: Die Spectral Vision beschreibe ich später, dazu lernt er in der Luft zu gleiten und Geister zu bannen. Für vieles gibt es Upgrades, für die ich Fähigkeitspunkte brauche, je 10 bekomme ich für ein Level-Up. Die dafür nötigen Erfahrungspunkte (das Spiel nennt es "Synergielevel", aber im Endeffekt sind es ganz klassische Level durch Erfahrungspunkte) sammle ich durch das Befreien von Seelen, die in Shibuya festhängen. Einige stärkere Upgrades sind hinter Schranken blockiert, für dich ich Magatama brauche, die ich für das erledigen einiger Nebenquests und anderer Aufgaben bekomme.

Es gibt sehr viele Upgrades, einige wie das beschleunigte einsammeln von Seelen habe ich komplett ignoriert, weil ich das eh nur mache, wenn keine Gegner um mich herum sind – jeder Treffer bricht die Aktion ab, wie bei fast allem. Alle wird man nur erhalten können, wenn man viel mehr Nebenquests macht. Ich habe mich aber vor allem auf die beschränkt, welche die Zusatzressource Magatama als Belohnung geben. Wirklich gebraucht habe ich vieles auch nicht, dafür ist das Spiel an sich schon zu einfach.

Vertikal gebaut: die Interpretation von Shibuya

Screenshot: Katzen sind einige der wenigen, verbliebenen Lebewesen in Shibuya
Katzen sind einige der wenigen, verbliebenen Lebewesen in Shibuya

Als Spielwelt dient eine Interpretation des bei Spieleentwicklern sehr beliebten Stadtteil Shibuya von Tokyo. Als Stadtteil ist die Welt nicht sehr weitläufig, stattdessen mit Gebäude zugepflastert, auf die ich zum Großteil auch steigen kann. Betreten ist in den wenigsten Fällen möglich, und dann auch nur nach einer kurzen Ladezeit, auch wenn die Einrichtung nur eine schäbige zwei Zimmer Wohnung ist. Es gibt eine Kartenansicht, da die Welt aber stark Vertikal gebaut ist, hilft sie nur bedingt, weil sie sich auf eine 2D-Darstellung beschränkt. Höhenunterschiede oder wenn etwas übereinander liegt, kann ich so nur bedingt erkennen.

Da das Gebiet sehr kompakt ist, gibt es keine motorisierte Fortbewegungsmöglichkeit oder ähnliches, selbst bei komplett aufgedeckter Karte dauert es nur wenige Minuten, bis ich von einem Ende zum anderen gelaufen bin, die Sprintfunktion verbraucht zudem keine Ausdauer. Dafür kann Akito einen Art Gleitflug einsetzten, kombiniert mit den an vielen Ecken postierten Tengu, zu denen ich mich hochziehen kann, kann ich mich schnell und weit durch die Luft fortbewegen. Sofern nichts im Weg ist, klettern geht nur an vorgegebenen Punkten.

Überall in der Stadt sind nicht nur Gegner, sondern auch andere Punkte verteilt, vor allem für Nebenquests und Sammelkram. Die Karte ist mit Tonnen von Icons zugepflastert, die aber größtenteils auch eher lahm sind. Es gibt Läden von Nekomanta (eine Art Katzen-Geister), wo ich Zeug einkaufen kann und die mir Belohnungen für gefundene Gegenstände geben, die in ganz Shibuya versteckt sind. An Jizu-Statuen erhöhe ich meine magische Munitions-Kapazität, wenn ich den Yokai nachjage und sie stelle bekomme ich zusätzliche Ressourcen und noch mehr Seelen. Am wichtigsten sind die Torii, reinige ich sie, wird den Nebel von einem weiteren Teil der Spielwelt entfernt. Einen Teil davon muss ich im Verlauf der Hauptstory besuchen, andere sind rein optional. Mehr als alle Gegner erledigen und das Reinigungsritual durchführen ist das aber auch nicht.

Screenshot: Die Karte ist wie in vielen Open-World-Spielen zugepflastert mit belanglosen Nebenquests und öden Sammelaufgaben
Die Karte ist wie in vielen Open-World-Spielen zugepflastert mit belanglosen Nebenquests und öden Sammelaufgaben

Nicht auf der Karte sehe ich die vielen Seelen der ehemaligen Bewohner, die noch rumhängen. Mit Katashiro-Papier-Anhängern kann ich sie bannen und dann später über eine geheime Apparatur in jeder Telefonzelle befreien. Manchmal muss ich sie vorher noch eine Art Siegel entfernen (das Spielt nennt es Affliction, was Leid, Kummer oder Trauer bedeuten kann), wofür mir das Spiel ein Muster einblendet, dass ich mit der Maus (oder Sticks des Controllers) nachzeichnen muss. Ist mir das zu aufwändig oder nervig, kann ich das per Tastendruck auch KK überlassen, dann laufen die Bewegungen automatisch ab.

Da die Straßen ziemlich verwinkelt sein können und die Designer das auch nutzen, bietet das Spiel mit der Spectral Vision eine weitere Möglichkeit: Akito sieht dann in einem gewissen Radius (per Upgrade steigerbar) durch Wände wichtige Punkte wie Gegner, verzerrte Gegenstände, welche sich durch einen Schlag oder Treffer in die magische Munition auflösen oder die Gruppen von gefangenen Seelen, die ich sammeln und so befreien muss. Sie zu sehen ist aber nur die halbe Miete, oft sind sie in Hinterhöfen oder anderen Ecken platziert, die gar nicht so einfach zu erreichen sind. Dann muss ich einen Weg suchen, der teils weite Umwege bedeutet. Das habe ich mir oft nicht gegeben, da es keine Vorrausetzung für das Beenden des Spiels ist, habe ich meist nur mitgenommen, was auf meinem Weg lag und nicht noch extra gesucht. Das Spiel verrät mir, dass ich nur knapp über 25% der Seelen befreit habe – und das auch nur, weil es dafür ein Achievement gibt und ich kurz davor war, dann habe ich ein paar Nebenquests gemacht und es mitgenommen. Zu 50% oder gar 100% hatte ich keine Motivation mehr, dafür müsste ich alle der lahmen Nebenquests machen und das ganze Gebiet nach fehlenden Seelen abgrasen.

Bis zum Update Standardware: Neben der Hauptquest

Screenshot: Die Nebenquest in einer Schule, die per Update dazu kam, ist ein Highlight, weil fast so etwas wie Horror-Atmosphäre entsteht
Die Nebenquest in einer Schule, die per Update dazu kam, ist ein Highlight, weil fast so etwas wie Horror-Atmosphäre entsteht

Wer sich nur auf die Hauptstory fokussiert, sollte Ghostwire Tokyo in unter 10 Stunden durchspielen können. Ich habe im Durchlauf die meisten ignoriert und habe nach knapp 11 den Abspann gesehen. Zum einen, weil ich vor dem Ende meines Urlaubs damit durch sein wollte, zum anderen, weil die meisten Nebenaufgaben nichts Besonderes sind.

In Shibuya hängen noch Geister einiger Einwohner herum, die mir unterschiedliche Nebenaufgaben anbieten. Die beschränken sich aber meist auf einfach Kill-Quests oder dass ich irgendwo hinsoll, ein paar Hotspots abklappere und dann wieder zurück. Da die Questgeber nur Schemen mit verzerrten Stimmen sind entfalten sie kaum Persönlichkeit. Die Geschichten sind auch eher unspektakulär, meist sind Geister oder Yokai am Werk und stiften Chaos, bei anderen wird den Questgebern durch meine Aktionen oder Recherche etwas klar, aber weltbewegend ist das alles nicht.

Ich kann auch allerhand sammeln, die vielen Alltagsgegenstände will immer einer der Nekomanta haben, KKs Notizen bringen ein paar kleinere Infos zur Spielwelt und allgemeine Texte und Sprachnachrichten liegen weit verstreut. Wirklich interessant fand ich aber die wenigsten davon. Noch weniger die versteckten Tanukis, japanische Waschbären, mit denen ich mich unterhalten kann. Per Update kam noch ein neuer Aufgabentyp dazu, wofür ich Orte auf Bildern finden und exakt den Punkt, von wo das Bild aufgenommen wurde, nachstellen soll. Das ist jetzt auch nicht gerade die spannendste aller Beschäftigungen, außer die erste habe ich keine weitere davon angegangen.

Screenshot: Es gibt nur wenige Charaktere im Spiel, die Hackerin Rinko ist eine der wenigen, die auch eine Rolle spielen
Es gibt nur wenige Charaktere im Spiel, die Hackerin Rinko ist eine der wenigen, die auch eine Rolle spielen

Es gibt eine große Ausnahme: Mit einem Update kam eine neue, größere dazu, wo man eine Schule untersucht. Die ist wirklich gut gemacht, währen der Erkundung des Schulgebäudes kommt sogar so etwas wie Horror-Atmosphäre auf. Sie ist gut inszeniert und ein Highlight unter den Nebenmissionen – aber leider das einzige.

Am Faden hinab: The Spiders Thread Modus

Per Update kam mit "The Spiders Thread" ein neuer Spielmodus dazu. Er läuft getrennt vom Hauptspiel, nachdem ich Kapitel 2 davon erreicht hatte, wurde er im Hauptmenü freigeschaltet. Im Prinzip handelt es sich dabei um einen Rogue-like-Modus, ich arbeite mich durch Ebenen prozedural generierter Level hinunter. Die sind sehr kleine Abschnitte, ob sie aus Teilen zusammengesetzt werden einfach nur sehr kleine Areale aus der Open World abgesperrt werden, kann ich nicht sagen, dass habe ich nicht explizit überprüft. Man sammelt neue Ressourcen und kann sich beim einem fetten Nekomanta-Händler und seinen Gehilfen Upgrades kaufen, teils ähnlich wie im Hauptspiel, teils neu, in jedem Fall neu in Form eines Spinnennetztes angeordnet, ob das auch spielerische Auswirkungen hat, habe ich nicht überprüft.

Am Ende gilt wahrscheinlich einen Endboss zu besiegen. Anhand der Formulierung könnt ihr schon sehen, dass ich ihn nicht weit gespielt habe, ich habe nur ein paar Ebenen reingeschaut. Mein Problem mit diesen Modi ist, dass sie sehr vom Kampfsystem leben. Weil das meist alles ist, was man macht, ohne große Story oder anderes. Da ich das von Ghostwire Tokyo nicht so gelungen finde, habe ich keine große Motivation für solch einen Modus.

Geisterstunde in Shibuya: Die Story

Die Story beginnt buchstäblich mit einem Knall: Protagonist Akito wird auf der berühmtesten Straßenkreuzung der Welt, der Shibuya Scramble, in einen Unfall verwickelt. Erst dann realisiert er, dass alle Menschen um ihn herum verschwunden sind, nur ihre Kleidung liegt noch auf dem Boden. Und dass eine mysteriöse Gestalt mit einer Hyanna-Maske auf den großen Werbeflächen an den Hochhäusern des dicht besiedelten Stadtviertels von Tokyo Botschaften von einer neuen Welt verbreitet. Akito ist nur noch da, weil er die Seele des ebenso mysteriösen KK in sich aufgenommen hat, wobei eher unfreiwillig. Von hier entspinnt die Geschichte, in der beide den Mann mit der Maske aufhalten wollen, KK um dem Ganzen ein Ende zu bereiten und Akito, weil er seine Schwester retten will, auf die es der Bösewicht abgesehen hat.

Screenshot: Was der Mann mit der Hyanna-Maske mit Akiros Schwester will, ist Hauptreiber der Story
Was der Mann mit der Hyanna-Maske mit Akiros Schwester will, ist Hauptreiber der Story

Die Story ist nur leider nicht das Highlight von Ghostwire Tokyo. Denn außer der Jagd auf den Bösewicht ist da nicht viel. Erstaunlich vieles über die Vorgänge, wie das alles überhaupt möglich war, bleibt bis zum Ende und darüber hinaus im Dunkeln. Dass das meiste über Dialoge zwischen Akito und KK erzählt wird, hilft da nicht wirklich, weil sie fast wie Selbstgespräche wirken, weil KK nicht als Charakter auftaucht. Klar gibt es in dieser Welt keine anderen Menschen mehr, aber dadurch wirkt die Inszenierung auch sehr spartanisch. KK hatte eine kleine Gruppe von Mitstreitern, die aber so gut wie keine Rolle spielen, einer davon ist buchstäblich nur über das Telefon über Bandnachrichten zu hören. Einzig Rinko hat so etwas wie einen Auftritt, aber auch nur sehr begrenzt. Darunter leidet die ganze Inszenierung, ich kann kaum mit den Charakteren mitfühlen oder mich in sie hineinversetzten. Am meisten mit Protagonist Akito, weil ich über ihn mit weitem Abstand meisten erfahre. KK kommt danach, aber auch über ihn bleibt vieles ungeklärt. Über alle anderen erfahre ich so gut wie nichts. Das Ende löst nur die wichtigsten Fragen auf und endet auf einer passenden, bitter-süßen Note. Aber mir blieb zu viel über die Charaktere und ihre Motivation offen.

Ein kurzes Wort noch zu Ghostwire Tokyo Prelude, eine kostenlose Visual Novel, welche ein paar Happen zur Vorgeschichte erzählen soll. Als Visual Novel wird spielerisch nicht viel Geboten, bei einer Länge von ca. 30 Minuten kann man auch nicht viel erwarten. Alle Charaktere aus KKs Gruppe kommen vor, aber ich lerne auch hier so gut wie nichts über sie. Klar ist das Spiel kurz und kostenlos, aber es scheint mir auch keinen Mehrwert zu bringen. Wenn Charaktere im Hauptspiel schon kaum auftauchen, bringen die paar Sätze in der Visual Novel auch nichts mehr, damit ich irgendeine Art von Verbindung zu ihnen aufbaue.

Fazit

Screenshot: Auch das Design der Gegner passt zum Geister-Thema des Spiels
Auch das Design der Gegner passt zum Geister-Thema des Spiels

Ghostwire Tokyo macht es mir wirklich nicht leicht. Technisch sieht es wirklich gut aus, aber so gut wie alle anderen Aspekte sind so mittelmäßig. Durch die wenigen Charaktere kommt die Story nie so richtig in Fahrt, dazu bleibt viel zu viel offen. Über die meisten Charakter lerne ich viel zu wenig, als dass sie mir etwas bedeuten würden. Am meisten stört mich aber das lahme Kampfsystem, Akito bewegt sich für meinen Geschmack viel zu träge und den "Waffen" fehlt es an Abwechslung und Wucht. Die Spielwelt als kondensierte Version von Shibuya sieht auch gut aus und ist vor allem sehr stimmungsvoll, aber auch mit den typischen Problemen von Open World Spielen wie endloser Sammelkram und belanglosen Nebenquests zugepflastert.

Letztendlich macht das Spiel nichts wirklich falsch, aber viel zu wenig wirklich gut. Es gibt Ego Shooter mit besserer Story, besserem Kampfsystem und einem Leveldesign, dass nicht nur wie aufgesetzt und dann auch noch komplett Standard wirkt. Deshalb kann ich die eher mittelmäßigen Wertungen anderer nicht nur nachvollziehen, ich würde sie auch unterstreichen. Da das Spiel wohl kein großer Verkaufserfolg war und Microsoft das Studio schon schließen wollte, denke ich nicht, dass da in absehbarer Zeit ein Nachfolger kommt. Auch wenn ich der Idee großen Potential attestiere, dieses Spiel macht zu wenig daraus.