Heute vor 25 Jahren: Unreal Tournament

Screenshot: Spielszene aus Unreal Tournament im Spielmodus Domination

Es kommt selten vor, dass zwei direkte Konkurrenten zeitgleich dieselbe Idee haben. Das neuste Werk des Teams aus Raleigh, North Carolina sollte zuerst ein Addon werden, die Geschäftsführung überzeugte die Entwickler aber davon, ein reines Multiplayer-Spektakel zu entwickeln und zum Vollpreis zu verkaufen. Der Erfolg gab ihnen recht, bis heute gilt das Spiel als eines der prägenden Spiele des Genres. Am 5. Dezember 1999 erschien Unreal Tournament.

Epic Games war bereits vor dem Release kein Unbekannter. Wer kennt nicht Ken’s Labyrinth und Jack Jazzrabbit? Spaß beiseite, ihr wirklicher Durchbruch war natürlich der Ego-Shooter Unreal. Mit einer damals beeindruckenden Tech-Demo, ausgeklügeltem Level-Design und herausragender Gegner-KI setzte das Spiel im Genre Maßstäbe und konnte der direkten Konkurrenz aus Texas mehr als nur Paroli bieten. Nur der Multiplayer-Modus war reichlich unspektakulär. Deshalb wollten die Entwickler eine Erweiterung produzieren, die sich ganz darauf konzentriert. Als Producer Mark Reign aber die ersten Spielszenen sah, bestand er darauf, es stattdessen als eigenständiges Spiel zu veröffentlichen. Das war die Geburt von Unreal Tournament.

Das Spiel hat sogar so etwas wie eine Story: Im Unreal-Universum konkurrieren mehrere Mega-Konzerne miteinander, die große Turniere ausrichten, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Als Spieler werdet ihr Kapitän einer Mannschaft, die sich durch eine Reihe von Matches gegen andere Teams in unterschiedlichen Modi stellen muss. Für den Sieg über alle Gegner in einer Disziplin gibt es einen schicken Pokal für den digitalen Trophäenraum. Dann geht es in die Finalrunde, im klassischen Deathmatch mit Team oder allein, gegen die härtesten Gegner, die das Universum zu bieten hat. Einige der Karten waren für damalige Verhältnisse recht ausladend, dann brauchte es entsprechend große Teams, es brauchte meist große Teams, damit der Action-Gehalt hoch blieb. Die KI war auch nicht schlecht, sie traf nicht zur gut, sondern konnte die vielen Waffen und Power Ups gut nutzen und erreichte auch verschlungene Ort, die in anderen Spielen den menschlichen Kontrahenten vorbehalten blieben.

Für die Qualität eines Ego-Shooter maßgeblich ist das Waffenarsenal. Unreal Tournament bietet 13 Schießprügel: Die einfachen Enforcer-Pistolen könnt ihr auch im Doppelpack und besonders cool seitwärts halten. Sobald die Minigun angelaufen ist, macht sie mit den meisten Gegner kurzen Prozess und der Raketenwerfer kann mit gleich acht Raketen geladen werden. Die Biogun verschießt grüne Schleimpfropfen, das ASDM Shockrifle dagegen Energiestrahlen oder eine langsame Energiekugel – beide kombiniert erzeugen eine verheerende Explosion, es brauchte aber sehr viel Übung, das auch hinzubekommen. Und natürlich die Flakgun, die wie eine Schrotflinte funktioniert, aber dicke Metallsplitter verfeuert, die an den Wänden abprallen. Wenn ihr nicht aufpasst auch auf euch zurück, gerade sie und die Raketen können so viel Schaden anrichten, dass sie für euch gefährlicher sein können als für eure Gegner. Auch die Redeemer-Atomrakete kann in ungelenken Händen mehr Kollateralschaden anrichten. Sokar killed his own dumb self.
Die Scifi-Gladiatorenkämpfe waren sehr blutig, was der USK und der BPjS (heute mit M am Schluss für Medien statt Schriften – Spiele, wie damals auf dem Schulhof behauptet wurde, stand da nie) das gar nicht gefiel, das Spiel wanderte schnell auf den Index.

Für mich war und ist der Kern von Unreal Tournament das Spiel im Team: Capture the Flag war bekannt, aber Domination und das auf dem Erfüllen von einfachen Aufgaben basierende Assault sah man zu dieser Zeit nirgendwo anders. Klassisches Deathmatch war auch mit an Bord, spielte aus meiner Sicht aber immer eine eher untergeordnete Rolle.
Im eSport-Bereich kann man heute sagen, dass das Spiel aus North Carolina nur Achtungserfolge erzielen konnte, gegenüber der direkten Konkurrenz von id Software aber klar den Kürzeren zog. Für Quake 3 Arena gab es mehr prestigeträchtige Turniere und eine größere Community, auch wenn die von UT nicht gerade klein war, für damalige Verhältnisse.

Wie die Konkurrenten aus Texas erkannte man auch bei Epic Games das Potential von Mods, ging dafür aber einen etwas anderen Weg. Der Mapeditor lag dem Spiel bei, zusammen mit allem, was man brauchte, um eigene Level zu zimmern. Für kleinere Veränderungen gab es sogenannten Mutatoren, die einfacher zu erstellen waren als große Mods. Keine Lust auf den Translocator, dafür Low-Gravity? Dafür reichen sie völlig. Für größere Modifikationen waren auch möglich und mit UScript gab es eine eigenen Script-Sprache. Mods wie Excessive Overkill, Chaos UT oder Tactical Ops gehören zu den bekanntesten.

Die Technik des Spiels ist eine weiterentwickelte Version der bereits in Unreal verwendet Engine. Vor allem die Größe der Level war beeindruckend. Im Vergleich zur drei Tage vorher erschienenen Konkurrenz wirkte aber alles sehr eckig, es gab so gut wie keine Rundungen – nicht mal an den weiblichen Spielecharakteren, ihre Oberweite entpuppte sich von der Seite als Dreieck. Trotzdem eine beeindruckenden Engine, aber weniger im Detailgrad sondern in der möglichen Größe. Für die Musik setzten sie auf ein System ähnlich der Tracker aus 16-Bit-Heimcomputer und konnten einige Größen der Szene für den Soundtrack gewinnen.
Wie bereits bei Unreal lizensierte Epic Games ihre Engine an andere Entwickler, mit deutlich mehr Erfolg: Titel wie Deus Ex, The Wheel of Time und Clive Barker’s Undying nutzen die als Unreal Engine 1.5 bekannte Version. Sie fand durchaus Verbreitung, gegenüber dem Koloss der mittlerweile als id Tech 3 bezeichneten Engine zog sie aber den Kürzeren.

Heute ist Unreal Tournament in einer schwierigen Situation. Erst versuchte es Epic Games mit jährlichen Iterationen, brach das Experiment aber schon nach zwei Spielen ab. Nicht nur deshalb wird der Erstling zur Unterscheidung heute gerne als "UT99" bezeichnet. Ein offizieller dritter Teil erschien 2007 und wollte spielerisch wieder mehr an den Erstling anschließen, konnte sich aber nicht wirklich durchsetzen. Mehr Erfolg hatte ihre Third-Person-Shooter-Reihe Gears of War, nach drei Teilen verkauften sie die Marke 2014 an Publisher Microsoft. Epic versuchte allerhand, vom Third-Person-Moba Paragon zum Handyspiel Infinity Blade, mit teils durchwachsenem Erfolg.

Ein neuer Teil von Unreal Tournament sollte von einem Rumpfteam in Zusammenarbeit mit der Community entstehen, das Projekt steht aber seit Jahren quasi still – Triple-A ist nicht wirklich für Amateur-Entwickler geeignet. Epic konzentrierte sich schon damals mehr auf das als Spieler-gegen-KI-Horden gestartete Fortnite, das aber schwer strauchelte. Erst als das UT-Team abgezogen wurden um dafür einen Battle-Royal-Modus zu entwickelten, nahm es wirklich Fahrt auf. So war der Tod von Unreal Tournament gleichzeitig der Startschuss zum größten Gaming-Phänomen aller Zeiten, das sich bis heute mit hohen Spielerzahlen und ebenso hohen Einnahmen hält.

Das ging aber zu Lasten der Klassiker, im Dezember 2022 nahm Epic alle Spiele mit "Unreal" im Namen aus dem Verkauf, einen Monat später wurden die Masterserver abgeschaltet, die notwendig sind, um andere Multiplayer-Server zu finden. Mittlerweile gibt es alternativen aus der Community, sie benötigen aber etwas Handarbeit. Als unerwartetes Geschenk haben die Entwickler kürzlich das Spiel und seinen Vorgänger an das Internet Archive übergeben, wo es kostenlos und legal zum Download bereitsteht. Auch wenn Epic offenkundig kein Interesse mehr an den Spielen hat die es groß machte, die kleine, aber engagierte Community hält es am Leben. Damit es auch in Zukunft heißt: Sokar killed his own dumb self.