Blizzard Entertainment. Kaum ein Name in der Spieleindustrie löst bei Spielern heute noch so viele positiven Emotionen aus, wenn sie auch womöglich nur auf purer Nostalgie basieren. Blizzard galt als perfektes Team – jedes Spiel ein Mega-Hit, größer und besser als der Vorgänger. Ein Entwickler, der Spiele erst veröffentlicht hat, wenn sie absolut rundgeschliffen waren. Scheinbar unabhängig von den Zwängen des Kapitalismus, der vielen anderen Spielestudios über die Jahrzehnte zu schaffen macht. Es war der Traum vieler Spieler, für und mit ihren Idolen zu arbeiten. Einmal hinter den Kulissen angekommen, sah es aber schnell anders aus.
Dieser Artikel erschien auch bei GamersGlobal. Vielen danke an CharlieDerRunkle, Drapondur und Hagen Gehritz für Korrekturen und Feedback!
Inhalt
Jason Schreier ist ein amerikanischer Journalist mit Fokus auf Nachrichten aus der Spieleindustrie. Er hat lange für Kotaku geschrieben und arbeitet aktuell für Bloomberg. Er ist bekannt für seine guten Kontakte in die Brache, durch die er oft Insiderinformationen über die Entwicklungsgeschichte von Spielen erhält. Neben seiner journalistischen Tätigkeit hat er bereits zwei Bücher über die Entwicklung von Spielen und die Menschen dahinter geschrieben: 2017 erschien "Blood, Sweat and Pixels", 2021 folgte "Press Reset".
Für sein neuestes Buch "Play Nice" hat der Autor sich nun erstmals auf die ganze Geschichte eines Studios konzentriert. Für die Recherche hat Schreier mit 350 ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern von Blizzard und Partner-Firmen gesprochen. Darunter sind wenige direkte Aussagen von Führungspersönlichkeiten, Zitate bekannter und für die Firma prägenden Personen wie Allen Adham, Mike Morhaime oder Chris Metzen stammen meist aus Interviews anderer Medien. Trotzdem erfährt man viel über sie, aber aus der Sicht ihrer Mitarbeiter. Blizzard selbst wollte sich nicht äußern.
Aufstieg durch Chaos
Das Buch über "Aufstieg, Fall und Zukunft von Blizzard Entertainment" zeichnet die Entwicklungsgeschichte aller Spiele des Studios nach, von den ersten Portierungsarbeiten für Interplay (Brian Fargo hatte in die Firma investiert und stand den Gründern mit Rat zur Seite), über ihren Durchbruch mit WarCraft – Orcs and Humans bis zu Overwatch 2. Es gibt auch einige Infos zu abgebrochenen Projekten, wie ein nie verwirklichtes alternatives Diablo 4 mit dem Codenamen "Hades" oder das Survival-Projekt "Odyssey". Der Detailgrad der Beschreibung variiert stark, wer beispielsweise mehr über die Entwicklung von StarCraft 2 erfahren möchte, könnte enttäuscht werden. World of WarCraft ist dagegen in der zweiten Hälfte des Buches omnipräsent, was auch seinem Status innerhalb der Firma entspricht.
Besonderer Fokus liegt auf der Kultur bei Blizzard, die schon früh etabliert wurde und das Studio teils bis heute prägt. Zu Anfang lebten die Gründer und die ersten Mitarbeiter in der Firma, es gab keine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Alles drehte sich nur darum, möglichst coole Spiele zu entwickeln. Schreier sieht hier eine direkte Verbindung dazu, dass später viele Beziehungen zwischen Mitarbeitern untereinander oder mit ihren Vorgesetzten entstanden. Das passiert in den meisten Großkonzernen, aber hier sei die Anzahl auffällig hoch. So gut wie jeder aus der Führungsetage war mit einer Mitarbeiterin bei Blizzard liiert oder verheiratet. Im Fall einer Trennung führte das zu weiteren Konflikten in der Belegschaft.
Für die Projektorganisation setzten die Führung auf das sogenannte "Chaos Management": Dabei trafen sich alle Entwickler eines Projektes zu einem Meeting und mussten zu einer Entscheidung kommen. Meist hatten aber die leitenden und einflussreichen Mitarbeiter das letzte Wort. Dieses System wurde auch noch genutzt, als die Firma dafür eigentlich schon viel zu groß war, was mehr Macht in die Hände Einzelner legte.
Für mich war nicht neu, dass Crunch und schlechte Bezahlung bei Blizzard allgegenwärtig waren. Selbst im Vergleich mit den berüchtigten Spieleindustriestandards mussten die Mitarbeiter hier deutliche Abstriche hinnehmen. Diesen Ruf hatte sich das Studio schon vor Jahren "erarbeitet". Was ich hingegen noch nicht wusste: Die Zusammenarbeit mit Blizzard North velief alles andere als harmonisch. Die unterschiedlichen Sichtweisen und andauernde Konflikte führte schlussendlich dazu, dass Blizzard alle Entwickler aus dem für Diablo verantwortlichen Studio nach Irvine holte. Wenn sie denn wollten, einige wichtige Köpfe verließen stattdessen die Firma.
Fall aus höchster Höhe
Für Schreier haben zwei Ereignisse die Firma maßgeblich beeinflusst: Zum einen der überragende Erfolg von World of WarCraft, auf das jeder verfügbare Entwickler darauf angesetzt wurde. Dadurch verzögerte sich die Entwicklung anderer Spiele wie Diablo 3 und StarCraft 2 stark. Zum anderen das Scheitern des Projektes "Titan", das World of WarCraft als neue Nummer 1 auf dem MMO-Markt ablösen sollte. Daraufhin mischte sich die Mutterfirma Activision-Blizzard immer stärker ein. Statt alle paar Jahre eine große Einzelproduktionen herauszubringen, sollte das Studio auf regelmäßige Releases und Gewinne getrimmt werden. Als Vorbild diente die Call of Duty-Serie, welche mit jährlichen Veröffentlichungen unter Einsatz massiver Entwicklungsressourcen höchst erfolgreich und profitabel wurde. Dabei habe die Führungsetage komplett ignoriert, dass dieser Ansatz nur beim Shooter-Franchise funktioniert hat, während andere wie Tony Hawks Pro Skater und Rock Band auf diese Weise an die Wand gefahren wurden. Zum Teil auch, weil Activision-CEO Bobby Kotic mehr und mehr externe Manager ohne Erfahrung in der Software- und Spieleentwicklung dazu holte, die stumpf ihre Erfolgsrezepte aus der Produktion von Konsumwaren umsetzen wollten.
Im letzten Teil wird die Übernahme durch Microsoft thematisiert. Innerhalb der Belegschaft von Blizzard war die Hoffnung groß, dass sich die Firma unter neuer Führung zum Besseren entwickelt. Durch die Entlassungswelle im Januar 2024 wurde diese jedoch jäh begraben. Für mich waren in diesem Abschnitt des Buches wenig neue Erkenntnisse dabei, da vieles bereits öffentlich bekannt war und ich mich schon länger näher mit der Industrie beschäftigt hatte. Dazu will ich anmerken, dass der Aspekt "Zukunft" aus dem Titel sehr kurz kommt. Das Buch handelt primär von der Historie des Studios, als Orakel betätigt sich der Autor nicht.
"Play Nice" ist aktuell nur auf Englisch verfügbar, die Hardcover-Variante umfasst gut 350 Seiten Text, plus einen kurzen Anhang. Durch den großen Rand und Zeilenabstand wirkt die Seitenzahl ein wenig aufgeblasen, das kommt aber der Lesbarkeit zugute. Schreier schreibt eher einfach, es werden weder komplexe Satzkonstrukte noch ungewöhnliches Vokabular verwendet, wichtige Begriffe werden im Text erklärt. Gelegentliche Fußnoten liefern weitere Infos und Randnotizen. Wer einigermaßen regelmäßig englische Texte liest, sollte mit der Lektüre keine Probleme haben
Fazit

Das gescheiterte Projekt Titan sollte die Firma ein zweites Mal maßgeblich verändern. Aus dessen Ruinen entstand der Team-Shooter Overwatch
Ich würde das Buch jedem empfehlen, der mehr über die Geschichte von Blizzard Entertainment und die Entwicklung ihrer Spiele erfahren will. Auch wenn ich wie gesagt manche Aspekte schon an anderer Stelle gelesen hatte: Ich fand darin auch viele neue Informationen, speziell aus den Anfangszeiten. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Andy Weir (heute bekannt für seinen Roman "Der Marsianer") zu Zeiten von WarCraft 2: Tides of Darkness bei Blizzard als Programmierer arbeitete, aber wegen Crunch-Verweigerung und nicht zufriedenstellender Code-Qualität rausgemobbt wurde? Durch solche Geschichten wurde für mich der legendäre Ruf des Studios weiter entzaubert.
Der durch das Buch führende rote Faden ist die kritische Auseinandersetzung mit der Kultur bei Blizzard. Die vielen internen Probleme werden schonungslos thematisiert. Da das Studio unter Spielern schon immer einen exzellenten Ruf genoss, nahm ich an, dass es hinter den Kulissen geradezu paradiesisch zugehen musste. Heute ist das natürlich eine ziemlich naive Sichtweise. Da ich damals keinen Einblick in die Industrie hatte, wusste ich es schlicht nicht besser. Mittlerweile habe ich beruflich genug erlebt und die rosarote Brille abgelegt. Aber ich war doch überrascht, wie stark die komplette Geschichte des Studios von internen Konflikten geprägt ist. Die Qualität ihrer Spiele ist unbestreitbar, aber sie forderte einen hohen Tribut, insbesondere bei den Mitarbeitern. Als jemand, für diesen Aspekt interessiert, war "Play Nice" insgesamt eine lohnende Lektüre.