Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf GamersGlobal. Danke an die User ChrisL und Admiral Anger sowie andere Freiwillige für die Hilfe beim redigieren des Artikels.
Ach SpellForce 3, was hätte das werden können. Als Fan der Serie konnte ich quasi nicht anders, als es mir anzusehen. Aber der Release wurde zum Desaster, das Spiel war komplett verbugged. Ein solches Image wird man heute selten los, im Überangebot der Spieleindustrie kann schon ein verpatzter Launch dazu führen, dass nicht nur das Spiel komplett untergeht, sondern das Studio gleich mit. Das ist aber nicht passiert, im Gegenteil: Die Entwickler haben schnell viele Patches entwickelt. Fast vier Dutzend später stellt sich mir die Frage: Kann man es jetzt durchspielen und nicht nur den hartgesottensten Fans empfehlen? Da es so oder so in meiner Spiele-Bibliothek war gab es für mich keinen Grund, es nicht wenigstens anzuschauen und mir selbst ein Bild zu machen. Immerhin gab es in der Zwischenzeit auch ein Addon, das von der Fachpresse deutlich besser bewertet wurde. Deshalb: Hat Spellforce 3 eine zweite Chance verdient?
Hinweis: da ich primär Kampagnen-Spieler bin, dreht sich der Artikel fast ausschließlich darum. Den Skirmish-Modus habe ich zwar kurz angeschaut, aber dann auch nur gegen die ganz einfache KI, wirklich bewerten kann ich ihn deshalb nicht. Von Multiplayer und Coop ganz zu schweigen.
Inhalt
- Inhalt
- Ein Blick zurück
- Vorgeplänkel zum Holpriger Start
- Gekonnter Genre Hybrid
- Keine Standardkost
- Solide Eigenentwicklung
- Die Antwort auf die Frage aller Fragen
- Gelungener Nachschlag
- Fazit
Ein Blick zurück
Die SpellForce-Serie kann auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken, ich versuche hier nur eine kurze Zusammenfassung zu geben:
Die ersten beiden Teile sowie insgesamt drei Addons wurden vom Phenomic Game Development unter der Leitung von Siedler-Erfinder Volker Wertich entwickelt. Nachdem das Studio 2006 von EA gekauft wurden, will Publisher Jowood allein die Serie weiterführen, ein Standalone-Addon zu SpellForce 2 wird aber nicht mehr vor dessen Pleite fertiggestellt. Aus der Konkursmasse erwirbt Nordic Games die Rechte an der Marke und stellt nicht nur das Addon fertig, sondern schiebt auch noch ein zweites nach, wohl vor allem um die Wunden des ersten zu verarzten, das war nämlich komplett verbugged und hatte vom Stil her kaum noch was mit den älteren Teilen zu tun.
Der dritte Teil sollte einen Neustart darstellen: Für die Entwicklung des Prequels wurde mit Grimlore Games ein eigenes Studio in München gegründet. Unter den knapp 25 Mitarbeitern lassen sich ein paar Veteranen aus den Phenomic-Zeiten finden, dazu wird das kleine Team um einige Freelancer verstärkt. Eine Groß-Produktion habe ich da nicht erwartet, aber dank gut verfügbarer Middelware kein auch ein kleines Team beachtliche Spiele auf die Beine stellen.
Vorgeplänkel zum Holpriger Start
Anfangs war ich guter Dinge: Die selbst entwickelte Engine sah wirklich gut aus und das Gameplay schien so wie ich es erwartet hatte: Ein Hybrid aus Echtzeitstrategie und Rollenspielen, vom Tempo her deutlich näher an den Vorgängern oder Age of Empires als den Hochgeschwindigkeits-E-Sporttiteln wie StarCraft 2. Auf der GamesCom 2016 konnte ich sogar selbst Hand anlegen und eine Demo-Mission anspielen.
Wenige Tage vor Release kündigte die GameStar einen Stream mit den Entwickler an, den ich mir natürlich nicht entgehen lassen konnte. Aber als Redakteur Maurice Weber im zweiten Satz verkündete, dass es erstmal keinen Test geben würde, ahnte ich Übles. Leider hat sich das bestätigt: Das Spiel war voller Fehler und nicht durchspielbar. Manche Redaktionen warteten und verschoben ihre Tests, am Ende zückten aber alle Strafwertungen für den unfertigen Zustand. Das hat mich doch sehr geärgert, vor allem weil dem Spiel ansonsten einige Qualitäten attestiert wurden: die Grafik ist durchaus auf der Höhe der Zeit, untermalt von einem schönen Soundtrack, das Rollenspielsystem hat einiges an Tiefe zu bieten und die Geschichte viel Potential. Es scheint also kein kompletter Totalausfall zu sein.
Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, es vorerst nicht anzufassen. Ich bin selbst Softwareentwickler und arbeite jeden Tag mit unfertiger und verbuggter Software, da will ich mir das nach Feierabend nicht auch noch antun. Aber ich habe die zahlreichen Changelogs verfolgt, immerhin brachten die Entwickler noch vor Weihnachten 2017 schlappe 21 Patches heraus, teilweise zwei an einem Tag, mittlerweile sind es über 40. Das zeigt mir, dass sie mit der Situation nicht zufrieden sind und das Spiel nicht einfach fallen lassen wollten.
Erst im Spätsommer 2019 fand die Zeit das Spiel ernsthaft anzugehen. Mittlerweile ist auch das Addon Soul Harvest erschienen, dazu aber später mehr, erstmal geht es nur um das Hauptspiel. Zum Zeitpunkt meines Spieldurchaufs und dem Erstellen dieses Artikels ist die Version 1.40.1 aktuell.
Gekonnter Genre Hybrid
SpellForce 3 hat eine große Tugend seiner Vorgänger behalten: Es ist ein Hybrid aus Echtzeitstrategie und Rollenspiel. Beide Teile sind durchaus gleichberechtigt, was ihren Umfang und Bedeutung für das Gameplay angeht.
Für ein Echtzeistrategiespiel ist der Aufbaupart durchaus umfangreich ausgefallen, die drei Völker brauchen jeweils fünf Ressourcen, wobei die letzte für jede Rasse eine andere ist, aber im Endeffekt die selbe Rolle hat: Sie wird für die besten Einheiten und Technologien benötigt. Die Karten sind in Sektoren aufgeteilt, in den meisten finden sich zwei oder drei Ressourcen. Helden nehmen die Sektoren ein, die Außenposten sichern sie und stellen Arbeiter zur Verfügung. Zudem steigert jeder eingenommene Sektor das Einheitenlimit für Militäreinheiten, gerade in späteren Missionen kann es die 200er Marke deutlich überspringen, was zu große Massenschlachten führt da die KI hier nicht benachteiligt wird.
Die Völker spielen sich hinreichend unterschiedlich, aber nicht komplett anders, gerade, da ihre Technologiebäume recht ähnlich aufgebaut sind und es viele Einheiten gibt, die ähnliche Rollen ausfüllen. Am Ende unterscheiden sich sich hauptsächlich an Details, komplett unterschiedliche Fraktionen wie in StarCraft dürft ihr nicht erwarten. Jedes Volk muss erst rekrutiert werden und um die letzte Technologiestufe freizuschalten, müsst ihr eine separate Mission bestehen. Ich habe alle gemacht, allein schon um die Gruppe zu leveln und Gegenstände zu finden, wer es eilig hat kann sie aber auch auslassen.
Auch das Rollenspielsystem fällt umfangreich aus: Jeder Charakter hat drei Talentbäume zur Verfügung, der Hauptcharakter einen weiteren, der ihm oder ihr vorbehalten ist. Sie decken Nah- und Fernkampf sowie die umfangreiche Auswahl an Magie-Arten ab, die SpellForce seit dem ersten Teil bietet. Über welche Talentbäume die Charaktere verfügen ist vorgegeben, nur beim Hauptcharakter könnt ihr frei entscheiden, zudem bekommt er oder sie mehr Punkte bei Levelaufstiegen. Erfahrungspunkte und Level gelten für die ganze Gruppe, was es einfach macht neue Charaktere zu integrieren, da ihr sie nicht erst nachziehen müsst. Da nur vier Charaktere in jede Mission mit können ist eine gute Mischung wichtig, allerdings kann die Gruppe nicht immer komplett frei zusammengestellen werden. Der Hauptcharakter ist immer dabei, dazu schreibt einem das Spiel hin und wieder vor, dass ein bestimmter Charakter mit muss. Allerdings habt ihr immer genug Auswahl, dass dazu gewungen wird, seinen Charakter nicht in einem bestimmte Richtung entwickeln zu müssen. Meine Gruppe bestand aus dem Hauptcharakter als Nahkämpfer mit etwas weißer Magie, Yria als Heilerin und Bogenschützin spezialisiert auf Einzelziele und Rohen als Elementarmagier für Flächenschaden. Im letzten Drittel des Spiels wurde er so stark, dass er es auch mit größeren Armeen alleine aufnehmen konnte, die Kombination aus Schneesturm und Kettenblitz erledigt sie in Sekunden. Beim letzten Slot habe ich munter durchgewechselt und experimentiert.
Gegenstände finden sich in rauen Mengen, vieles davon wird generiert sein. Das Meiste ist leider nutzlos, da keine Verbesserungen geboten werden. Die Unterschiede in den Eigenschaften, speziell innerhalb der selben Qualitätsstufe, ist oft sehr gering. Zwischen den Stufen gibt es aber große Unterschiede. Dazu starten die meisten Charaktere mit Gegenständen speziell für sie, die deutlich besser sind als das Meiste, was ihr so findet. Immerhin könnt ihr fast alles beim Händler zu Geld machen, deren Goldvorrat aber begrenzt ist.
Allgemein fühlt sich SpellForce 3 sehr klassisch an. Vor allem im Gegensatz zum unangefochtenen Platzhirsch der Echtzeitstrategiespiele, StarCraft 2. Das ist ganz konkret darauf ausgelegt den Spieler konstant zu überfordern mit den vielen Dingen, die man eigentlich alle gleichzeitig erledigen muss und setzt einen ständig unter Druck. Sich wie früher in seiner Basis einbunkern, eine große Armee ausheben und dann den Gegner überrollen ist fast nicht möglich. SpellForce 3 ist da anders, gerade zu Anfang sollte ihr nicht zu schnell expandieren, drei oder vier Sektoren reichen erstmal und sind meist schon schwierig genug zu halten, da die KI immer wieder mit kleinen Gruppen angreift. Ihr könnt euch aber einbunkern und langsam vorwagen, für mich war das meistens die bessere Taktik. Alles mit Türmen zupflastern wie im ersten Teil funktioniert nur eingeschränkt, da sie sehr teuer sind, ein oder zwei halten allerdings die meisten Gegner auf. Alles in allem war es für mich ein eher entspanntes Spielgefühl für ein Echtzeitstrategiespiel.
In einigen Missionen habt ihr nur eure vier Helden zur Verfügung, zum Beispiel wenn ihr antike Ruinen erkundet oder zu Beginn einer Mission. Dann sind die magischen Charakterfähigkeiten wichtig, nur mit den Standard-Angriffen seht ihr kein Land. Dabei brennt das Spiel ein ordentliches Effektfeuerwerk ab, die Übersicht leidet aber doch etwas. Alle Fähigkeiten könnt ihr per Klick auf die Buttons unterhalb des Charakterportraits, Hotkey oder über das bei gedrückter Alt-Taste erscheinende Fähigkeiten-Rad aktivieren, bei letzterem wird zudem die Zeit stark verlangsamt oder angehalten, was taktische Überlegungen möglich macht. Ich habe es aber eher selten genutzt, sondern mich auf meine flinken Finger verlassen.
An einigen Stellen der Kampagne könnt ihr entscheiden, wohin es als nächstes geht. Ich hatte nie harte Zeitlimits und konnte die Hauptquest auch liegenlassen um mich Nebenaufgaben zu widmen. Einiges könnt ihr auch komplett auslassen, wie die letzte Technologiestufe für ein Volk freizuschalten. Auf einer großen und schön gestalteten Weltkarte werden die möglichen Ziele gezeigt und ausgewählt. Sie deckt die Region Nortander auf dem Kontinent Fiara ab, als langjähriger Fan konnte ich sogar ein paar bekannte Orte wiedererkennen. Einige sehr prominent gezeigte Flecken habe ich aber nie besucht, wodurch ich mich fragte, ob ich etwas unabsichtlich ausgelassen hatte. Andererseits habe ich über 50 Stunden gespielt, da kam ich eigentlich schon gut auf meine Kosten. Außer den teils sehr ausufernden Sammelquests habe ich fast alles gemacht.
Keine Standardkost
Die SpellForce-Serie ist kein typisches Fantasy-Universum, entsprechend ungewöhnlich waren die Geschichten – und SpellForce 3 ist hier keine Ausnahme. Eher weniger präsente Themen wie Rassismus und religiöser Fanatismus spielen zentrale Rollen in der Story rund um den Hauptcharakter mit dem Namen Tahar. Als wäre es nicht schwer genug, als Kind eines Verrätes einen schweren Stand zu haben, fallt ihr früh bei den wenigen Verbündeten in Ungnade und verbringt viel Zeit damit, euch neue Verbündete und Freunde zu suchen. Und das alles, während eine magische Seuche im Land wütet und religiöse Fanatiker gegen Magier hetzten. Ich gehe vorsichtshalber nicht weiter darauf ein, da sie einige spannende Entwicklungen bereithält.
Das Ende kommt leider sehr abrupt. Vor allem, da ihr viel Zeit mit euren Begleitern verbringt würde, ich mir einen längeren Epilog wünschen, der beschränkt sich aber auf ein kurzes Gespräch zwischen Tahar und Yria.
Die Dialoge sind zwar gut geschrieben und vertont, wenn auch nicht ganz so auf Hochglanz poliert wie in großen Produktionen. Sie sind aber auch sehr ausladend, minutenlang den Charakteren zuhören zu müssen ist wirklich keine Seltenheit. Da es aber selten richtige Zwischensequenzen sind, sondern das Spiel einfach normal weiterläuft, habe ich diese Pause oft genutzt um zum Beispiel mein Inventar neu zu sortieren oder die Ausrüstung meiner Charaktere zu optimieren.
Solide Eigenentwicklung
Nach dem Launch-Desaster steht die Technik des Spiels besonders im Fokus: Läuft alles stabil? Und kann man jede Mission wie vorgesehen beenden? Grundsätzlich war die technische Basis weniger das Problem. Und auch jetzt hatte ich keinen einzigen Absturz, durch die Myriaden an möglichen Systemkombinationen kann es bei jedem anders aussehen. Bei meinen Recherchen durch Reviews anderer User werden Abstürze aber nur selten erwähnt, das dürfte also kein flächendeckendes Problem sein. Auch bei der Performance hatte ich keine Probleme, ich konnte alle Details auf Anschlag drehen und habe keine Ruckler oder Slowdowns bemerkt, selbst wenn große Armeen durch dicht bewaldetes Gebiet marschierten und viele Zauber gezündet wurden.
Die Probleme scheinen eher an den Skripten in den Missionen zu liegen, und hier bin ich auf ein paar Kleinigkeiten gestoßen: Bei ein paar Dialogen wird die falsche Audio-Datei abgespielt (der Text passt aber), bei einer anderen Quests musste ich beim Abgeben nochmal den Dialog vom Anfang anhören bevor ich sie abschließen konnte.
Bei der Bedienung gingen die Entwickler keine Risiken ein und setzten auf Genre Standards: Minimap und der Großteil des Interfaces ist unten, Menüs und Ressourcenanzeige oben, im Eck die Charakterportraits – wer in den letzten 15 Jahren ein Echtzeitstrategiespiel gespielt hat, wird sich sofort zurechtfinden. Fähigkeiten von Helden sind in der von anderen Spielen bekannten Grid-Belegung angeordnet: Q-A-Y für den Hauptcharakter, W-S-X für den zweiten, und so weiter. Nervig wird es nur, wenn das Spiel bestimmte Charaktere für die Mission vorschreibt oder die Gruppenzusammenstellung sich während der Mission ändert. Dann ändern sich entsprechend auch die Hotkeys, in diesen Fällen habe ich immer wieder die falsche Fähigkeit gezündet. Es war mir auch nicht immer klar, wie genau eine Fähigkeit funktioniert: Löst sie automatisch aus oder muss ich noch ein Ziel wählen? Da hing das Spielmanchmal darin fest und wartete auf eine passende Eingabe von mir, ich wusste aber nicht was ich machen muss. Immerhin könnt ihr sie mit Escape abbrechen und weitermachen.
Wem die Verwendung von Hotkeys zu stressig ist, der kann alternativ auch ein Fähigkeiten-Rad benutzen, das durch Drücken und Halten der Alt-Taste aktiviert wird. Je nach Einstellung hält das Spiel dann an oder wird stark verlangsamt, sodass ihr in Ruhe Aktionen auslösen könnt, fast wie in einem klassischen Rollenspiel. Für mich war das aber extrem ungewohnt, ich habe die nötigen flinken Finger um alles in Echtzeit auszulösen. Ansonsten läuft alles wie gewohnt und flüssig, beim Bauen von Gebäuden oder Selektieren von Einheiten hatte ich keine Probleme. Nur das Aufsammeln von aufsammeln und das Anklicken bestimmter, wichtiger Punkte wird manchmal etwas nervig, da die Objekte teils sehr klein sind.
Die Antwort auf die Frage aller Fragen
Kommen wir nur zur eingangs aufgeworfenen Frage: Hat SpellForce 3 eine zweite Chance verdient? Ich würde sagen: Ja. In meinen knapp 50 Spielstunden bin ich zwar auf einen Semi-Plotstopper beim zweiten Besuch in Aonir’s Klinge gestoßen, aber selbst damit könnt ihr das Spiel beenden. Allerdings müsst ihr dann auf die besten Einheiten und Technologien der Menschen verzichten. Das hätte mich persönlich nicht groß gestört, da ich Menschen in Fantasy-Spielen eher selten spiele, sie sind mir schlicht zu langweilig. Ansonsten sind es eher kleine Schönheitsfehler, aber nichts, was einen davon abhält den Titel durchzuspielen.
Fans der Serie können guten Gewissens zuschlagen, und auch aus ausgehungerte Echtzeitstrategen, denen Fantasy nicht zuwider ist und die auch eine große Portion Rollenspiel nicht stört können einen Blick riskieren.
Gelungener Nachschlag
Für mich überraschend kündigte THQ Nordic am 19. Dezember 2018 ein Addon mit dem Namen Soul Harvest an. Überraschend vor allem deshalb, weil ich nach dem Launch-Desaster nicht mit Verkaufszahlen gerechnet hatte, die ein Addon ermöglicht hätten. Hier stellt sich natürlich die Frage: Kommt die Erweiterung in einem besseren Zustand auf den Markt? Im Interview mit der GameStar (Paywall) sprachen die Entwickler vage von "Verbesserungen am Entwicklungsprozess". Es als Standalone zu veröffentlichen und sich vom Image des Hauptspiels zumindest ein bisschen zu distanzieren war bestimmt kein ganz schlechter Schachzug.
Die Neuerungen umfassen eine Kampagne rund um den neuen Hauptcharakter Tarev, die einige Monate nach dem Hauptspiel spielt, was ihr schon daran merkt, dass der Herbst in die Spielwelt Einzug gehalten hat und die Bäume und Wiesen entsprechend eingefärbt sind. Der Zirkel der Magier wurde mittlerweile gegründet, Yria und Raith nehmen in der Handlung tragende Rollen ein. Um die Party aufzufüllen könnt ihr weitere Charaktere erstellen, diese gesichtslosen Söldner erreichen aber bei weitem nicht die Tiefe der besser ausgearbeiteten Charaktere und wirken auf mich eher wie ein Kompromiss.
Die beiden neuen Völker Zwerge und Dunkelelfen stehen in den beiden Strängen der Geschichte im Mittelpunkt, im übergreifenden Teil wird die Herkunft der zum Ende des Hauptspiels öfters auftretenden, dämonischen Gestalten geklärt. Im Reich der Dunkelelfen müsst ihr einen Putsch verhindern, was ist eher Story-Standardkost ist, aber gut umgesetzt wurde. Bei den Zwergen gilt dagegen herauszufinden, warum sie sich von den anderen Völkern abkapseln. Es stellt sich heraus, dass sie von einem Hassprediger dazu angestachelt wurden, und da wurde mir die Geschichte etwas unangenehm. Nicht weil sie schlecht geschrieben wäre oder das Thema nicht mit dem nötigen Fingerspitzengefühl angegangen wurde, sondern weil sie mir zu nah an aktuellen Geschehnissen in der realen Welt ist. Videospiele sind für mich ein Mittel, zumindest kurzzeitig den ganzen Mist, den die Menschheit sonst so anrichtet zu vergessen, das ging hier nur schwer. Trotzdem ist die Geschichte gut inszeniert und geschrieben, wie das Hauptspiel zwar nicht ganz auf AAA-Niveau, aber nah dran.
Bei Addons stellt sich natürlich die Frage: Muss man das Hauptspiel gespielt haben? Ich würde sagen: Müssen nicht unbedingt, Soul Harvest erzählt eine eigenständige Geschichte und alle wesentlichen Zusammenhänge werden erklärt. Allerdings habt ihr mehr davon, wenn ihr die Vorgeschichte komplett kennt, da es sich auf die nötigsten Bezüge zum Hauptspiel beschränkt. Die ganze Tragweite der Ereignisse aus der Zeit zwischen den Spielen erkennt man so nicht. Als Spieler des Hauptspiels wurden ein paar aufgeworfene Fragen nur unzureichend beantwortet, vor allem dem Schicksal von Tahar wurde aus meiner Sicht zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
Spielerisch hat sich mehr getan als ich erwartet hatte: Die beiden neuen Völker spielen sich wie Gegensätze, die Zwerge haben starke Gebäude und sind vor allem auf eine defensive Spielweise ausgelegt, sich langsam "Vorbunkern" scheint die effektivste Strategie zu sein. Die Dunkelelfen führen dagegen vor allem Einheiten ins Feld, die viel Schaden austeilen und sollten entsprechend aggressiv gespielt werden. Die Menschen wurden etwas verändert, zum Beispiel wird ihr Bevölkerungslimit ganz klassisch über den Bau von Häusern erweitert, bei den beiden Neuzugängen müsst ihr dafür eine Technologie erforschen. Die Elfen und Orks sind in der Kampagne nicht spielbar und haben im Skrimish-Modus nur kleine Veränderungen erfahren. Alle Völker verfügen dafür jetzt über Flugeinheiten, die im Technologiebaum weit hinten eingeordnet sind, bei mir waren bis dahin die meisten Schlachten schon entschieden.
Beim Rollenspielsystem gibt es eine wesentliche Neuerung: Der Hauptcharakter kann nur noch zwei Talentbäume nutzen, auch die anderen Charaktere wurden darauf beschränkt. Die Kombination für den Avatar wählt ihr zu Beginn frei. Je nachdem, welche der Charaktere zur Verfügung stehen lässt sich zudem eine spezielle Fähigkeit freischalten. Er oder sie erhält bei Levelaufstiegen deutlich mehr Punkte und kann entsprechend mehr Fähigkeiten freischalten, das Level gilt nach wie vor für die gesamte Gruppe.
Auch die Bedienung wurde überarbeitet, aber nicht unbedingt zum Besseren: Die grundsätzliche Steuerung bleibt gleich, aber die Fähigkeiten der Party orientieren sich nicht mehr an der Grid-Belegung, sondern liegen auf den F-Tasten. Die sind bei weitem nicht so kompakt beieinander, stattdessen muss ich mit der Hand große Wege zurücklegen, wenn ich mehrere Fähigkeiten kurz nacheinander auslösen will. Dazu gibt es noch eine zweite Reihe, die per Halten von Shift aktiviert wird, was je nach Kombination ohne zweite Hand nicht möglich ist. Wer die immer noch enthaltene Pause-Funktion und das Fähigkeiten-Rad nutzt, dem wird das unter Umständen kaum auffallen, mich hat es aber arg genervt.
Unterm Strich ist Soul Harvest ein solides Addon mit mehr Neuerungen als ich erwartet hatte, Highlights sind die neue, ungefähr 25 Stunden umfassende Kampagne und die zwei neuen Völker, von denen mir vor allem die Dunkelelfen sehr zusagten. Dazu gibt es Detailverbesserungen für die bekannten und eine spannende Story. Nur die Verschlimmbesserungen an der Steuerung hätten sich die Entwickler sparen können.
Cahlabrok, die Hauptstadt der Dunkelelfen, ist in ewiges Zwielicht gehüllt. Dafür kann man die schönen Schattenwürfe bewundern.
Fazit
Es war ein weiter und steiniger Weg für SpellForce 3, aber für mich hat sich das Warten gelohnt. Von dem Desaster zum Start ist nicht mehr viel übrig geblieben, ich konnte die Kampagne ohne größere Probleme durchspielen und hatte viel Spaß dabei. Für mich ist es ein würdiger Nachfolger, der die Stärken und Eigenarten der Serie beibehält, und genug Neuerungen bietet um auf eigenen Beinen zu stehen. Dazu gibt es mittlerweile ein gutes Addon, das ohne die Startschwierigkeiten, aber mit allen Stärken daherkommt. Fans der Serie können beruhigt zugreifen, aber auch ausgehungerte Echtzeistrategen ohne Fantasy- und Rollenspiel-Abneigung können einen Blick riskieren.