Heute vor 30 Jahren: Transport Tycoon

Screenshot: Städte und Eisenbahnstrecken in Transport Tycoon

Der schottische Programmierer Chris Sawyer hatte sich 1994 bereits einen Namen als Entwickler von PC-Portierungen wie Elite Plus oder Birds of Prey gemacht, als am 15. November sein erstes eigenes Spiel erschien: Transport Tycoon. Die Wirtschafts- und Logistiksimulation hatte er gänzlich im Alleingang entwickelt, Hilfe bekam er nur von Simon Forster für die Grafiken und John Broomhall, der Musik und Soundeffekte erstellte. Vertrieben wurde das Spiel von Microprose.

Das Spiel startet im Jahr 1930 in einer fiktiven Welt auf einer prozedural generierten Karte, die sich grafisch mit ihrem satt-grünen Untergrund stark an England anlehnt. Es gilt Waren und Passagiere zu transportieren, was das Wachstum der Städte befeuert, wodurch noch mehr Passagiere reisen wollen und Waren verbraucht werden. Damit deren Transport noch mehr Geld in die Kassen eures jungen Unternehmens spülen. Mit Bussen, Schiffen und Flugzeugen stehen unterschiedliche Verkehrsmittel zu Verfügung, der Star ist aber klar die Eisenbahn: Von Dampflokomotiven zu Diesel- und Elektroloks, kommen im Spieljahr 1999 die futuristische Einschienenbahn und 2021 die rasend schnelle Magnetschwebebahn dazu. Ein effizientes Netz aus Schienen, Weichen und Signalen ist der Schlüssel zum Erfolg des Spiels, die anderen Verkehrsmittel spielen in den meisten Fällen nur eine unterstützende Rolle.

Das Spielprinzip ist so einfach wie süchtig machend. Einfache Punkt-zu-Punkt-Verbindung kriegt jeder hin, wesentlich effizienter ist es aber, große Netzwerke anzulegen, damit die Schienen auch gut ausgelastet werden. Die stetig wachsenden Anforderungen an das Streckennetz zwingen euch permanent zu Umbauten und Erweiterungen. Geld spielt dabei nach der Anfangsphase meist keine Rolle, weil es sehr einfach ist, im Spiel genug davon anzuhäufen. Die KI-Gegner sind auch eher Hindernis denn Herausforderung, weil sie sehr ineffizient bauen und eigentlich nur im Weg stehen. Dann sie doch lieber schnell aufkaufen und alles liquidieren, bevor sie größeren Schaden anrichten. Oder gleich ganz darauf verzichten, Transport Tycoon ist ein reines Sandbox-Spiel, ohne Missionsziele oder gar eine Story.

Anfang 1995 erschien mit Transport Tycoon & World Editor eine leicht erweiterte Version. Neben dem bereits im Titel angedeuteten Karteneditor für eigene Szenarien war ein zweites Grafikset dabei. Die an eine futuristische Landschaft auf dem Mars erinnernde Umgebung war aber nur eine grafische Überarbeitung, spielerisch änderte sich nichts. Noch im selben Jahr erschien mit Transport Tycoon Deluxe eine stark erweiterte Version. Das Mars-Setting war raus, stattdessen gab es drei neue Umgebungen, angelehnt an Lateinamerika, Kanada sowie das verrückte Spielzeugland mit Batteriefarmen und Seifenblasenminen. Alle brachte eigene Warenketten, Fahrzeugtypen und Spielmechaniken mit sich: Städte in der Wüste müssen mit Wasser versorgt werden, damit sie überhaupt wachsen, Farmen können nur auf fruchtbaren Terrain Felder anlegen, Schnee gehört nicht dazu. Trotz der Neuerungen bleibt das Setting des Originals das bei heute beliebteste.

Ursprünglich wollte Chris Sawyer direkt einen Nachfolger entwickeln, hat dann aber seine Leidenschaft für Achterbahnen entdeckt. Erst im Jahr 2004 folgte mit Locomotion eine weitere Transport-Simulation. Man merkt ihm aber die technische Basis von RollerCoaster Tycoon 2 an, Schienen verlegen erinnert hier stark an das System für Achterbahnen und ist entsprechend eingeschränkt. Danach hat sich Sawyer aus der aktiven Spieleentwicklung zurückgezogen, er hält weiter die Rechte an seinen Marken, die an Atari lizensiert sind, die sich vor allem auf neue Ableger der Freizeitpark-Simulation konzentrieren.

2013 erschienen Transport Tycoon für Android und iOS, aber nur auf den ersten Blick. Die Grafiken, Sounds und Missionen stammen unverkennbar aus Locomotion. Einzig der Name und die neu eingespielte Titelmusik wurden aus dem Original übernommen. Die Steuerung wurde für Touchscreens angepasst, dafür eignete sich das klar vom Achterbahnbau abgeleitete System wohl besser als das freie Bauen des Originals. Chris Sawyer hat das Team von Origin8 bei der Entwicklung unterstützt, ebenso für die mittlerweile für Mobile-Plattformen erschienen Version seiner Freizeitparksimulation. In einem seiner seltenen Interviews mit Eurogamer verriet er, dass er heute froh ist, keine 16 Stunden pro Tag an sieben Tagen die Woche zu arbeiten. Er lebt sehr zurückgezogen in seiner Heimat Schottland (das Interview wurde per E-Mail mit der ihn vertretenden Agentur als Mittelsmann geführt), fährt weiter Achterbahnen in der ganzen Welt und hilft gelegentlich an seiner örtlichen Schule in deren Multimedia-Kurse aus.

Transport Tycoon hat bis heute eine treue Fangemeinde. Schon zu Zeiten des Originals war der von Josef Drexler entwickelte "Drexler Patch" für viele ein Muss, weil er einige Fehler korrigierte und viele der Limitierungen des Originals aufhob. Wer heute die Logistiksimulation spielen will, wird in den meisten Fällen zum Open-Source-Port OpenTTD greifen. Seit 2004 haben Fans das Original komplett nachgebaut. Mittlerweile haben sie auch eigene Grafiksets, Musik und Sounds entworfen, die Originaldateien sind nicht mehr nötig. Wer will kann aber ganz in der Nostalgie der 256 Farben des Originals und dem jazzigen Soundtrack schwelgen, sofern man die Dateien von der Windows-Version hat. Dazu wurden Fehler behoben, Limitierungen der Kartengröße und Anzahl der Züge erhöht und neue Signale für noch komplexere Netzwerke eingebaut. Zudem verfügt das Spiel über einen richtigen Multiplayer-Modus und durch den frei verfügbaren Source Code wurde es auf allerhand Plattformen portiert. Neben der offiziellen Webseite ist das Spiel auch auf Steam und GOG kostenlos verfügbar und updatet sich automatisch. Dazu ist ein Mod-Browser für noch mehr Vielfalt enthalten. Mit OpenLoco gibt es sogar für Locomotion ein ähnliches Projekt unter Open-Source-Lizenz. So leben die Werke von Chris Sawyer weiter, auch wenn er es sich nur noch von der Seitenlinie aus ansieht.

Das unten eingebettete Video zeigt Chris Sawyer, wie er eine sehr frühe Version von Transport Tycoon spielt, die noch den Arbeitstitel "Transport Game" trug.

https://www.youtube.com/watch?v=hP0suuMmgGQ //korrigieren!