Wieder ein Nachzügler in meinen Reviews – diesmal ein Rollenspiel aus dem Jahre 2007, namentlich The Witcher in der Enhanced Edition. Ich hab es mir im Oktober 2007 zugelegt, aber aus Zeitgründen immer vor mir hergeschoben. Außerdem war zu dem Zeitpunkt mein Rechner nicht mehr der neueste, das Spiel lief nur mit niedrigen Details, da kam nicht wirklich Stimmung auf. Mit dem neuen Rechner und vollen Details sieht es da schon besser aus =)
Die Grafik des Erstlingswerk der polnischen Entwickler von CDProject kann sich zudem sehen lassen. Dass hier die alte Auroraengine, die u.a. in Neverwinter Nights ihren Dienst tat sieht man auf den ersten Blick nicht – wohl aber auf den zweiten. Obwohl Geralt, der Held des Spiels ein genetisch veränderter Mutant ist und dementsprechend über Kräfte verfügt, die einem normalen Menschen fern sind, kann er nicht Springen. Bäche oder kleine Stufen werden so zum unüberwindlichen Hindernis, nur an vorgegebenen Stellen ist es dem Hexer vergönnt an einer Kante hochzuklettern, Beispielsweise in der Kanalisation. Dadurch spielt sich das Spiel doch recht linear, auch wenn einem gerne eine offenen Welt vorgegaukelt wird – diese Endet meist am nächsten Gartenzaun. Ansonsten leistet sich das Spiel grafisch nur Detailschwächen, etwa dass an Kleindung und Haaren von Charakteren trotz Kantenglättung hässliche Treppen entstehen. Die Musik kann auch überzeugen und ändert sich passend zum Spielgeschehen. Auch in den vorgerenderten Videos zu Beginn und am Ende des Spiels lassen die Entwickler nichts anbrennen: Als Intro dient der bekannte Kampf Geralts mit der in eine Striege verwandelten Prinzessin Ada, der im ersten Buch um den Hexer eine zentrale Rolle spielt.
Und damit sind wir bei der Story. The Witcher basiert auf den Geschichten des polnischen Autors Andrzej Sapkowski, dessen Bücher in Osteuropa Bestseller sind – in unseren Breiten ist er (leider) wenig bekannt. Die Geschichte des Spiels findet erst nach den insgesamt 7 Büchern statt, es gibt auch einiger Verweise zu den ersten beiden (die ich bisher gelesen habe, der dritte liegt schon bereit). Zu beginn muss ein alter Kniff herhalten, um auch Spielern, die die Romane nicht kennen, nicht außen vor zulassen: Geralt wird von seinen Kumpanen gefunden, obwohl er eigentlich tot sein sollte. Ohne Gedächtnis und schwach wird er zur Burg der Hexer gebracht, die prompt von Banditen angegriffen wird. Hier startet eine Art Tutorial, die den Spieler mit der Steuerung vertraut macht. Das Spiel lässt sich auf zwei Arten Spielen: aus einer isometrischen Perspektive, die an Diablo erinnert oder indem man dem Helden über die Schulter blickt. Letzteres bringt die teils spektakulären Schwertkämpfe voll zur Geltung, auf Kosten der Übersicht. Da man es aber in der Regel mit eher wenig Gegnern zu tun hat (Maximum dürfte ein gutes Dutzend sein, ist aber sehr selten – normal sind es eher einer bis fünf) stört das nicht weiter. Die Kamera hängt dabei nicht direkt über der Schulter, sondern ein Stück neben Geralt, zusätzlich lässt sich noch die Seite der Ansicht wechseln, was in Gewölben teilweise nützlich ist.
Auch Alkohol spielt eine Rolle: Hat Geralt einen über den Durst getrunken torkelt er durch die Gegend. An einen Kampf ist in diesem Zustand nicht zu denken.
Beim Kampfsystem wagt das Spiel neues: obwohl das Spiel eher Actionlastig ist, wird hier kein Gegner stupide tot geklickt. Stattdessen gilt es, im richtigen Rhythmus die Tasten zu drücken, mit denen Geralt Schlagkombinationen ausführt. Zu Anfang stehen nur kurze Kombinationen zur Verfügung, später werden diese Anspruchsvoller, aber auch stärker – bei den stärkeren Gegnern ein Muss. Gerechter weise muss man auch erwähnen, dass das System später doch etwas an Reiz verliert. Irgendwann hat man den Bogen raus und klickt seine Gegner rhythmisch tot. Dazu stehen dem Spieler noch Zaubersprüche zur Verfügung, so genannte Zeichen, sechs an der Zahl. Die Auswahl reicht von einem telekinetischen Stoß über einen Flammenwelle zu Fallen hin. Allein an der Auswahl erkennt man, dass man keinen Magier, sondern einen Krieger spielt – dementsprechend haben die Zeichen nur eine Unterstützende Funktion, z.b. die gezielte Lähmung starker Gegner um sie später ohne ihre Handlanger auszuschalten. Der Fokus des Kampfsystems liegt auf dem Kampf mit dem Schwert – mit anderen Waffen wie Kriegshämmern oder Dolchen lassen sich keine Schlagkombinationen ausführen, womit ich ihren Sinn etwas anzweifle – wohl nur zur Förderung der Atmosphäre. Das Charaktersystem gestaltet sich umfangreich, aber weniger erschlagend wie in klassischen Rollenspielen a la Dungeons & Dragons. Mit jedem Levelaufstieg bekommt Geralt Fertigkeitspunkte unterteilt in die Kategorien Bronze, Silber und Gold. Während man zu beginn nur bronzene Punkte bekommt, ändern sich das später. Alle zehn Levels erreicht Geralt einen neuen Rang als Hexer, was in einer Änderung der neu hinzukommenden Fertigkeitspunkte resultiert. Die Punkte können frei auf Attribute wie Stärker oder Ausdauer oder in Kampffertigkeiten investiert werden. Speziell der Schwertkampf nimmt hier mit sechs Kategorien (jeweils eine für den starken, schwachen oder Gruppenkampfstil mit dem Stahl- oder Silberschwert) wieder eine große Rollen ein, wobei jedes Zeichen auch eine eigenen Kategorie bekommt. Neben dem normalen steigern der Fähigkeiten gibt es noch einen Zweig mit Nebenfähigkeiten, die z.b. die Chance erhöhen, einen Gegner zu betäuben und damit vorübergehend Kampf- und Bewegungsunfähig zu machen.
Außerdem glänzt The Witcher mit einem großen Alchemiesystem. Tränke spiele in der Welt der Hexer eine große Rolle und nehmen einen elementaren Bestandteil des Spiels ein. In der Enhanced Edition wurde das Inventar aufgeteilt, Alchemiezutaten sind nur getrennt vom Rest. Jede Zutat enthält besondere Inhaltsstoffe, die für die Tränke benötigt werden, je nach Rezept unterschiedlich viele. Dazu haben einige Zutaten noch zusätzliche Stoffe. Wenn alle verwendeten Stoffe für einen Trank den gleichen Zusatzstoff enthalten, erhält der Tank einen zusätzlichen Bonus, z.b. erhöht er den Schaden oder hat eine geringer Toxizität. Letztes sorgt dafür, dass man nicht wie in Diablo fässerweise Tränke schlucken kann. Jeder Trank verfügt über eine gewisse Toxizität, die beachtet werden muss. Trinkt man zu viele Tränke, verringern sich Geralt Attribute temporär. Dagegen kann man entweder eine Trank zu sich nehmen, die die Toxizität aufhebt oder meditieren.
Aber zurück zur Story: Nachdem man die Banditen zu Anfang des Spiels besiegt hat beginnen Geralt, die verbleibenden Hexer und die Zauberin Triss Merigold mit Nachforschungen, denn für gewöhnliche Banditen waren diese sehr gute Ausgestattet und hatten sogar einen Zauberer dabei. Als Spieler begibt man sich in das Umland von Wyzima, der Hauptstadt des Reiches. Die Spielwelt ist eher düster gestaltet, es scheint nur wenig Sonne und die Welt ist rau und schmutzig, was typisch für osteuropäische Fantasy ist. Im Gegensatz zu vielen Geschichten die aus Amerika stammen, in denen die Welt meist auf Hochglanz poliert, der König edel und weise, wo alles Eitelsonnenschein ist und an jeder Tür sattelschlepperweise Eierkuchen steht bis der große Bösewicht vorbeikommt und ein bisschen böse ist. Die Welt von The Witcher ist anders: Sie ist rau und den wirklichen Gutmenschen gibt es nicht – jeder hat irgendwo ein mehr oder weniger schmutziges Geheimnis, was dem Spiel mehr Glaubwürdigkeit verleiht.
Die Story beginnt zu Beginn eher schleppen, gewinnt ab den zweiten Akt jedoch merklich an Fahrt. Geralt gerät in eine groß angelegte Verschwörung, wie sich erst nach und nach herausstellt. Die Geschichte entfaltet sich nur sehr zögerlich, dafür hat sie einen konstant hohen Spannungsbogen, der am Ende eines jeden Aktes in einem kleinen Höhepunkt gipfelt, bevor am Schluss die ganze Wahrheit ans Licht kommt. An Entscheidenden stellen wird die Handlung von gezeichneten Bildern vorangetrieben, die das Geschehen untermalen und von Geralt kommentiert werden. Zudem wird der Spieler ein einigen Stellen vor Moralentscheidungen gestellt. Ein großer Teil der Geschichte macht der Unabhängigkeitskampf von Elfen und Zwergen aus (diese sind in der Welt von Sapkowski eine Randgruppe, die vom Menschen teils grausam Unterdrückt werden und in den Slums der Städte leben). Hier wird man schon im ersten Kapitel vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt: Überlasse ich einige Kisten den Elfen oder nicht?
Es folgen noch einige weitere, die zwar den Weg zum Ziel ändern, aber nicht das Ziel selbst. Es gibt nur ein Ende, egal wie man hinkommt und auf welche Seite man sich schlägt (man hat die Wahl zwischen den Menschen, den Unabhängigkeitskämpfern oder einer neutralen Position).Während des Spiels trifft man auf einige Charaktere, die aus den Büchern bekannt sind, wie dem Barden Rittersporn, der Prinzessin Ada samt König Foltest und Geralts ganz speziellem Freund, dem Geist der wilden Jagd. Dazu gibt es noch eine Reihe neuer Charaktere, die ihrer Tiefe den „alten“ in nichts nachstehen. Jeder Charakter hat seine Beweggründe, warum er das tut was er tut, egal wie gut oder schlecht es auf den ersten Blick aussehen mag. Jede ihrer Taten ist nachvollziehbar, auch wenn sich selber vielleicht anders entschieden hätte.
Das Geralt ein echter Frauenheld ist wusste ich schon aus den Büchern, dementsprechend gibt es auch ein (wenn auch eher nebensächliches) Spielelement der Eroberungen im Spiel, die im Tagebuch festgehalten werden. Hin und wieder lassen sich Frauen zum Liebesspiel überreden – manchmal in dem man ihnen nur einen bestimmten Gegenstand bringt oder im Dialog die richtigen Worte findet. Das ganze läuft aber relativ Jugendfrei ab, man bekommt ein gezeichnetes Bild der Liebschaft zu sehen. Zusätzlich lässt sich noch eine Beziehung mit der Magierin Triss oder der Heilerin Shani eingehen, was auch die Story ein wenig beeinflusst. Kleiner Wermutstropfen für mich: beide sind rothaarig. Hier sollte CDProject nächstes mal mehr Auswahl anbieten.
Da ich das Spiel erst in der Enhanced Edition gespielt habe, kam ich in den Genuss einiger Vorteile. Zum einen wirken die Figuren wesentlich lebendiger, da die Mimik in den Dialogen stark verbessert wurde. In der Originalversion stehen sie oft steif da, als hätten sie einen Besen verschluckt. Dazu kann die KI endlich Würfelpoker spielen, obwohl das ein eher zweischneidiges Schwert ist. Es ist zwar so spannender, aber auch ungleich schwerer.
Mein Fazit: The Witcher ist mich eines der besten Spiele der letzten Jahre. Es bietet alles, was ein Rollenspieler sich wünschen kann: eine gut ausgearbeitete und tiefgründige Geschichte mit starken, manchmal skurrilen Charakteren, ein Actionreiches, aber nicht zu simples Kampfsystem, eine große Auswahl an Fertigkeiten und ein komplexes, aber nicht zu komplexes Alchemiesystem, dazu stimmige Grafik und Musik. Auch was den Support angeht sind die polnischen Entwickler geradezu Vorbildlich. Es gibt ein Modkit, mit dem engagierte Fans ihre eigenen Abenteuer entwickeln können (zwei vom Entwickler selber sind im Enhanced Edition Update dabei) und selbst ein Jahr nach dem Release schieben sie mit der Enhanced Edition ein wirklich dickes Update nach – da können sich andere Entwickler mehr als nur eine Scheibe abschneiden.
Sehr ausführlicher und gelungener Bericht *THUMPS UP*