Das kleine Team von Supergiant Games hat 2011 mit Bastion bereits für Auffsehen gesorgt: ein kleines Indiespiel, welches vor allem mit einem sehr künstlerischen Grafikstil und fantastischer Musik aufwartet. Die Spielmechanik war sehr einfach, aber erfüllte ihren Zweck. Im Mai 2014 veröffentlicht das Team ihre zweites Spiel Transistor, welches vor allem den Punkt der Spielmechanik angeht und bei den anderen wird auf die bekannten Stärken gesetzt.
Supergiant Games bleibt seinem Stil treu und produziert ein Spiel, welches nicht mit photorealistischer Grafik protzt, sondern auf einen eher künstlerischen 2D-Stil setzt. Noch mehr wie Bastion sieht Transistor wie gemalt aus, da alles weniger definierten und ein wenig weich gezeichneten Eindruck macht. Den Stil der Stadt Cloudbank, in der das Spiel stattfindet würde ich am ehesten als Art-déco-Cyberpunk bezeichnen und unterstreicht den eher melancholischen Stil des Spiels. Bastion erzählte zwar auch eine eher traurige Geschichte, dafür fiel die Grafik im Kontrast dazu sehr farbenfroh aus.
Besondere erwähnt muss die Musik und das allgemeine Sound Design werden: während bei anderen Spielen die Musik zum Spiel komponiert wird habe ich hier den Eindruck, dass beide stärker verzahlt sind wie bei den meisten anderen Spielen, dass die Musik ein integraler Bestandteil der Spielerfahrung ist. Alle Stücke sind auf den jeweiligen Level perfekt abgestimmt. Auch die Sprecher sind auf dem hohen Niveau, das man von Bastion gewöhnt ist. Logan Cunningham ist wieder dabei, diesmal in der Rolle des namens gebenden Transistors und einige wenige weitere, eher unbekannte Namen, aber alles mit einer fantastischen Leistung. Ist auch mal schön zu sehen, dass Spiele auch ohne Troy Baker, Jennifer Hale und Nolan North auskommen. Nicht dass sie schlecht wären, ganz im Gegenteil – aber immer und immer wieder die selben Stimmen zu hören wird irgendwann auch zuviel.
Am Gameplay beschreitet das Spiel neue Wege und ist vor allem ambitionierter wie Bastion, welches mit einer relativ simplen, aber effektiven Spielmechanik auskam. Im weitesten Sinne ist Transistor ein Action-Rollenspiel, mit ein paar Kniffe, die es von der Masse abheben. Man steuert den Hauptcharakter Red aus einer isometrischen Perspektive, die Steuerung kann per Maus und Tastatur ähnlich wie Diablo oder in einer für Controller ausgelegten, direkten Konzept erfolgen.
Die Kämpfe sind, neben der Story, das Kernstück des Spiels. Sie finden in kleinen, abgesteckten Arealen statt und können entweder in Echtzeit oder in einem Pausenmodus gespielt werden. Echtzeit ist schnell erklärt, jede Fähigkeit löst einen globalen Cooldown aus, ist er ausgelaufen sind die anderen Fähigkeiten verfügbar. Im Pausenmodus, turn() genannt, wird das Spiel pausiert und man kann seine Aktionen planen. Das System ist dem VATS-System aus Fallout 3 nicht unähnlich, man hat eine begrenzten Zeitraum für Fähigkeiten und jede nimmt unterschiedliche viel davon ein, analog zu den Cooldowns im Echtzeitmodus. Wenn man fertig ist werden alle Aktionen extrem schnell nacheinander ausgeführt, allerdings pausiert das Spiel dabei nicht. Bewegt sich ein Gegner leicht reicht das schon dass eine Fähigkeit daneben geht oder zumindest die Schadensvorhersage in turn() nicht mehr stimmt. Deckung, die Beschuss nicht aushält oder die Sicht auf Gegner blockiert muss man weiterhin bedenken, sonst verschenkt man turn()-Zyklen unnötig. Auch sieht man in diesem Modus eine Art Raster auf dem Boden, was aber wenig hilft weil die Steuerung nicht genau genug ist. Ein wenig herumprobieren ist gefragt, das gilt auch für die Fähigkeiten. Mich hat es ein wenig Einarbeitungszeit gekostet, aber als ich das System verstanden habe war ich von seinem durchdachten Design und Eleganz beeindruckt.
Aus einem Pool an Fähigkeiten, welche nur an Terminals gewechselt werden können, können Slots gefüllt werden: vier Aktive, bis zu vier Passive und bis zu je zwei Upgrade-Slots für jede aktive Fähigkeit. Man kann jede Fähigkeit frei in einem der Slots platzieren, was einen großen Unterschied machen kann, da sich die Fähigkeiten je nach Slots anders verhalten, auch wenn ihre grundlegende Charakteristik gleich bleibt. Ein Beispiel: die Fähigkeit ping() (ja, alle Fähigkeiten werden wie Funktionen in C-artigen Programmiersprachen geschrieben und im Spiel auch als Funktionen bezeichnet) in einem aktiven Slot feuert einen einzelnen Strahl ab und lädt sich sehr schnell wieder auf bzw. verbraucht nur wenig Zeit in turn(). Im Upgrade-Slot reduziert es den Cooldown, der von einer Fähigkeit ausgelöst wird und die Zeit, die die Fähigkeit in turn() beansprucht. Im passiven Slot reduziert es die Zeit, die für Bewegungen in turn() benötigt werden.

In den Challanges kann man üben und mit Fähigkeiten experimentieren um effektive Kombinationen zu finden.
Zudem beansprucht jede Fähigkeit Speicher, welcher zusätzlich begrenzt ist – man muss sich also genau überlegen, welche Fähigkeiten man mitnimmt und passende Kombinationen finden. Durch die Flexibilität der Fähigkeiten bleibt viel Raum für Experimente, speziell was Kombinationen von Fähigkeiten angeht welche extrem effektiv sein können. Damit man nicht im normalen Spiel experimentieren muss gibt es dafür einen extra Raum: An manchen Stellen des Spiels kann man eine Pause einlegen und sich in eine Lagune zurückziehen. Neben einem Grammophon, um sich freigespielte Musikstücke anzuhören gibt es die Challange-Rooms: neben einem freien, der für Experimente gedacht ist, gibt es weitere, bei denen man vorgegebene Szenarien lösen muss: alle Gegner in einem turn() ausschalten, eine bestimmte Zeit lang überleben oder immer stärkere Wellen von Gegner erledigen. Dabei sind die verfügbaren Fähigkeiten vorgegeben, wodurch man zum improvisieren gezwungen wird, aber es hat auch einen Nachteil: man kennt sie evtl. noch gar nicht. Mehr als den Namen sieht man im Spiel selbst nicht, nur an den Terminals kann man die komplette Beschreibung lesen – welche in den meisten Challange-Rooms nicht verfügbar sind. Das macht das ganze zu einem einzigen Schuss ins blaue, außer man verlässt das Spiel und schlägt in einer Wiki nach, was die Fähigkeit überhaupt macht. Ein wenig mehr Informationen wären hier sehr nützlich, da es auch keinen Sinn macht zu verschleiern was die Fähigkeiten machen – wenn man sie im Spiel freischaltet kann man die komplette Beschreibung lesen.
Das Rollenspiel-System ist ansonsten relativ einfach: für abgeschlossene Kämpfe gibt es Erfahrungspunkte, welche fest vorgegeben sind. Beim Levelaufstiegen bekommt man die Wahl zwischen mehreren Fähigkeiten, Upgrades wie mehr Slots oder Speicher und Limiters, welche die Ausbeute an Erfahrungspunkte erhöhen, aber negative Effekte mit sich bringen. In Bastion gab es bereits ein sehr ähnliches System, mit welchem man den Schwierigkeitsgrad das Spiels fein tunen kann.

Was die mysteriösen Camerada mit den Vorgängen in Cloudbank zu tun haben was es mit dem Transistor auf sich hat erschließt sich erst im Laufe des Spiels. Klasse vertont sind sie alle.
Über die Story möchte ich nicht zu viele Worte verlieren, nur soviel dass sie wieder sehr intelligent geschrieben ist, aber auch viele Fragen offen lässt. Im Mittelpunkt steht die Opernsängerin Red, welche ihrer Stimme beraubt wurde. Sie wacht dann neben dem Transistor auf, einer Art Cyberpunk-Schwert, welches über die Fähigkeit verfügt, die Essenz von Menschen zu absorbieren und daraus die Funktionen zu generieren, welche vom Spieler eingesetzt werden können. Die braucht man auch im Kampf gegen den Process, der unsichtbaren Gegenspieler, welcher eine Armee von Robotern steuert und auf Red ansetzt. Schnell findet man heraus, dass der Clan der Camerada für die Erschaffung des Process verantwortlich ist, was sie aber wollen und was der Transistor damit zu tun hat findet man im Verlauf das Spiels heraus.
Auch wenn nicht alle Frage geklärt werden und wahrscheinlich mit Absicht einiges im Dunkeln bleibt, gehört die Geschichte von Transistor mit zu dem besten, was ich einem Spiel erlebt habe.
Fazit: Ist Transistor ein Kunstwerk? Gar ein Meisterwerk? Für mich beides. Die Grafik und Sound sind aus einem Guss, dazu die passenden, melancholische Geschichte. Die Spielmechanik ist durchdacht, nicht zu komplex aber braucht trotzdem etwas Einarbeitungszeit, hat man aber mal den Dreh heraus kommt man nicht darum herum, ihre elegantes Design zu schätzen. Mein Spiel des Jahres 2014.